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Die DEUTSCHE AKADEMIE FÜR FERNSEHEN soll in der öffentlichen Diskussion über die Medien und ihre Inhalte zu einer Stimme der Fernsehschaffenden werden und das Bewusstsein für die kreativen und künstlerischen Leistungen derjenigen, die die Fernsehprogramme gestalten, fördern und stärken.

Zweck laut Satzung der DEUTSCHEN AKADEMIE FÜR FERNSEHEN ist die Entwicklung des deutschen Fernsehens als wesentlichen Bestandteil der deutschen Kultur sowie der deutschen Kulturwirtschaft zu fördern und deren Vielfalt zu erhalten, das Gespräch und den Austausch von Ideen und Erfahrungen zwischen den deutschen Fernsehschaffenden insbesondere auch zwischen freiberuflichen und in Sendern festangestellten anzuregen, zu stärken und zu pflegen, den Diskurs zu inhaltlichen und wirtschaftlichen Aspekten des deutschen Fernsehens zu führen.

Dazu werden öffentliche Veranstaltungen zu kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Themen im audiovisuellen Bereich organisiert, Weiterbildungsveranstaltungen für im audiovisuellen Bereich tätige Personen unter Leitung von Mitgliedern des Vereins oder externen Experten durchgeführt, und die Verleihung einer Fernsehauszeichnung, gegebenenfalls mit noch zu bestimmenden Partnern, vorbereitet und durchgeführt.

Die Akademie hat ihren Sitz in Berlin und München. Sie wird allen kreativen Fernsehschaffenden mit langjähriger Erfahrung und besonderer Leistung bei der Herstellung deutscher Fernsehwerke aus den Bereichen Fiction, Non-Fiction, Unterhaltung und Journalismus offen stehen.
Ab 2024 ist der normale Beitragssatz € 180, in Ausnahmefällen ist er reduziert.

Bitte beachten Sie unsere angepassten Mitgliedsbeiträge ab Januar 2024.

Diese entnehmen Sie der aktualisierten Beitragssatzung unter https://daff.tv/wp-content/uploads/2023/09/Beitragsanpassung_Anlage3_MVDAfF_2023_final.pdf

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Jörg Sommer: Vielfältige Programmgestaltung braucht vor allem – vielfältige Beteiligung

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Jörg Sommer: Vielfältige Programmgestaltung braucht vor allem – vielfältige Beteiligung

Vielfältige Programmgestaltung braucht vor allem: vielfältige Beteiligung

Jörg Sommer

Unsere Gesellschaft wird immer diverser – und das gilt auch für unsere Demokratie. Die repräsentativen Institutionen, Strukturen und Prozesse beziehen ihre Legitimation zunehmend nicht mehr nur aus Wahlen, sondern aus vielfältigen Beteiligungsprozessen. Tag für Tag werden wesentliche Zukunftsfragen in dialogischen Verfahren verhandelt. Selbst auf Bundesebene wird zunehmend mit Bürgerräten nach irischem Vorbild gearbeitet. Die Erfahrungen damit sind überwiegend positiv. Die Deliberative Demokratie (Habermas 1992) entfaltet sich. Gleichzeitig ist die Programmgestaltung der ö/r Medien noch immer hierarchisch dominiert und repräsentativ fixiert. Dabei wäre es erstaunlich einfach, die reale Vielfalt unserer Gesellschaft in die Programmgestaltung einzuspeisen: durch vielfältige und breite Beteiligungsformate, die nicht erfunden werden müssen – aber erprobt.

Mangelnde Transparenz und mangelnde Akzeptanz

Politische Entscheidungen sollten auf Fakten beruhen und Ergebnis eines politischen Diskurses sein. Zumindest in der Theorie. Die Praxis sieht anders aus. Vor allem von außen, also für die meisten Bürger*innen. Für viele sind politische Entscheidungen Ergebnis einer merkwürdigen Melange aus programmatischer Parteiräson, undurchsichtigen Hinterzimmerdeals, nebulösem Lobbyistenwirken und persönlichen Interessen der Beteiligten. Und was für die Politik gilt, gilt erstaunlich parallel auch für die Wahrnehmung der ö/r Medien, ihrer Finanzierung und ihrer Programmgestaltung. Das stimmt so zwar nur manchmal, aber das Image der ö/r Medien sowie der politischen Akteur*innen war schon einmal besser. Befeuert auch durch Rechtspopulist*innen, die systematisch und penetrant an der Spaltung von »politischen Eliten« und »Volk« arbeiten.

Ihr Credo: Der einfache Deutsche auf der Straße würde besser regieren als die »Politikerkaste«. Kein Wunder, dass sich diese Gruppe aktuell sehr für zwei politische Ideen begeistert: Mehr »direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild« (so steht es im AfD-Parteiprogramm) und die Idee der Aleatorik – also dem Auslosen politischer Mandatsträger/innen bzw. dem Schaffen sogenannter »Zufallsgremien« (Sommer 2021). Dahinter steckt der Versuch, unsere demokratischen Institutionen zu delegitimieren. Die aktuellen Angriffe zeigen: Als eine solche Institution zählt auch der ö/r Rundfunk zu den Feindbildern. Ob Parlamente, Rundfunk- oder Programmbeiräte – die Kritik geht in die gleiche Richtung: Besetzungen und Beschlüsse fußen auf intransparente Mauscheleien der »Politikerkaste«.

Doch nur weil es Kritik aus gefährlichen Gründen gibt, muss diese Kritik per se nicht unberechtigt sein. Und nur weil bestimmte Ideen, Formate und Gremienbesetzungsmethoden (auch) falsche Freunde haben, müssen es nicht automatisch auch die falschen Methoden sein. Wenn wir also nach Möglichkeiten suchen, zum Beispiel den ö/r Rundfunk in seinen Aufgaben zu unterstützen, zu stärken, besser und auch demokratischer zu machen, empfiehlt es sich, ideologische Interessen, delegitimatorische Motive und unreflektierte Hypes nicht zu ignorieren, ihnen aber auch nicht auf den Leim zu gehen.

Demokratisierung oder Delegitimierung?

Ein solcher aktueller Hype sind die sogenannten Bürgerräte[1] (Jacobsen 2021). Zufällig ausgeloste Menschen diskutieren ein Thema und produzieren dazu »Handlungsempfehlungen« an die Politik. Das Konzept bezieht sich auf den »Rat der 500« in einer Phase der attischen Demokratie (Rhodes 1985). Dieser war allerdings kein nur für kurze Zeit einberufenes Gremium, sondern die Mitglieder wurde als eine Art »Parlament« für jeweils ein Jahr gelost – und aus dessen Kreis dann wieder allerlei öffentliche Funktionen und Gremien bestimmt. Das Konzept ging also erheblich weiter als jenes der aktuell stark diskutierten Bürgerräte. Einige der Protagonisten dieses Formates wollen unsere Demokratie auch in diese Richtung weiterentwickeln. Es kursiert bereits der Begriff der »Losdemokratie«, einer »idealen Demokratie« nach griechischem Vorbild. Das auch dieses Vorbild Licht und Schatten hat, können uns die Historiker erklären. Denn politische Teilhabe gab es für die meisten Athener selbst zur Blütezeit nicht. Zumindest nicht für Frauen, Fremde und Sklaven, also der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung. Und so richtig gut funktioniert hat das im alten Griechenland auch nur im Stadtstaat Athen. Anderswo in Griechenland herrschten ganz andere Systeme bis hin zu reinen Diktaturen. Selbst in Athen war die Blütezeit der losbasierten Demarchie zeitlich begrenzt. Auch Wahlen gab es dort nach wie vor (Stahl 2003). Das Bild der »Losdemokratie« (Röcke 2005) ist also zunächst einmal ein ideologisches Konstrukt, von unterschiedlichen Akteuren aus unterschiedlichen Motivationen favorisiert. Das gilt genau so für die ihr vorgeschaltete Marke »Bürgerrat«.

Partizipation ist geprägt von Vielfalt

Wir haben in Deutschland zwischenzeitlich mehr als 20 Jahre Erfahrungen mit unterschiedlichen Formaten der politischen Teilhabe. In der klassischen Bürgerbeteiligung kennen wir die genaue Zahl erfolgreich eingesetzter Formate nicht, es dürften deutlich über 600 sein[2]. Einige sind ausgezeichnet geeignet, um gemeinsam Ideen und Visionen zu entwickeln, andere dienen der Bearbeitung von Konflikten. Manche Formate funktionieren besser bei jungen Menschen, manche können Themen tief und intensiv bearbeiten, verlangen aber viel Zeit und Vorbildung bei den Beteiligten. Andere erreichen viele Menschen, realisieren breite Beteiligung und/oder sind niederschwellig.

Hinzu kommen zahlreiche unterschiedliche Formen der Teilnehmergewinnung. Es gibt losbasierte Verfahren, Delegation durch bestimmte Gruppen, völlig offene Selbstrekrutierung, aber auch aufwändige Scoping-Prozesse mit dem Ziel, bewusst alle Betroffenengruppen zu integrieren. Die unterschiedlichen Kombinationen aus Verfahren und Rekrutierungsmodell ergeben letztlich eine vierstellige Zahl von denkbaren Beteiligungskonstrukten – ganz unabhängig von der Wahl der Themen und der damit verknüpften Agenda.

Das Format Bürgerrat ist eines dieser Konstrukte, tatsächlich im Grunde eine geringfügig modifizierte, in der Zahl der Teilnehmenden aufgebohrte Version der sogenannten »Planungszelle«[3], einem schon in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts von Professor Peter Dienel in Deutschland entwickelte Beteiligungsformat (Dienel 1978). Wenn wir also drüber nachdenken, wie wir den ö/r Rundfunk partizipativer gestalten können, sind wir gut beraten, aus dem umfangreichen Portfolio an Beteiligungserfahrungen zu schöpfen, ohne uns von aktuellen Trends, Moden und Motiven treiben zu lassen.

Wie sieht ein partizipativer Rundfunk aus?

In einem ersten Schritt sollten wir definieren, welche Wirkung wir uns von partizipativen Strukturen erwarten. Was brauchen wir? Was wollen wir? Welche Defizite gibt es? Was könnte die Akzeptanz des ö/r Rundfunks erhöhen? Die Wirkung? Die Qualität des Programms? Den Bezug zur realen Alltagswelt der Bevölkerung? Die Themenbreite, die Relevanz, die Chance, auch Themen jenseits des Mainstreams anspruchsvoll zu realisieren? All diese Fragen münden im Grunde in vier Beteiligungszielen die sich überschneiden und wechselseitig wirken: Es geht um Qualität, um Transparenz, um gesellschaftliche »Erdung« und letztlich um Akzeptanz.

Die Wechselwirkungen sind komplex und teilweise herausfordernd. Während Qualität, Erdung und Transparenz unmittelbar positive Auswirkungen auf die Akzeptanz von Institution und Programm haben, ist insbesondere das Verhältnis von Qualität und Erdung ein dialektisches.

Betrachten wir im nächsten Schritt, zu welchen Entscheidungen, Prozessen und Strukturen eine Beteiligung Sinn machen könnte. Aufgrund der Erfahrungen, die wir in Bürgerbeteiligungsprozessen machen konnten, wissen wir: Man kann im Prinzip zu allem beteiligen, sinnvoll aber nur, wenn es auch eine Möglichkeit gibt, dass die Beteiligung wirkt. Denn wirkungslose Beteiligung ist wertlose Beteiligung. Konzentrieren wir uns bei den möglichen Wirkungen auf jene, die tatsächlich eine erhebliche Relevanz für unsere Ziele haben, empfiehlt sich eine Konzentration auf folgende Wirkungsfelder:

  • Finanzierung
  • Strategische Planung
  • Besetzung von Führungsfunktionen
  • Programmgestaltung
  • Evaluation

Selbst bei einer Konzentration auf diese vier Beteiligungsziele und die fünf Wirkungsfelder wird angesichts der bereits geschilderten Diversität der partizipativen Formate und Prozesse klar: Das eine Format, dass all diese Erwartungen erfüllt, gibt es nicht.

Die gute Nachricht lautet: Es gibt bewährte partizipative Formate für jedes der skizzierten Beteiligungsziele und Wirkungsfelder. Bei der Auswahl sind zwei Dinge jedoch von großer Bedeutung: Zum einen darf es keine Kakofonie unterschiedlicher, inkompatibler und nicht miteinander synchronisierbarer Formate geben, die am Ende gar parallel widersprüchliche Ergebnisse produzieren.

Partizipation jenseits der Gremien

Zum anderen gilt es einen immer wieder aufkommenden Fehler zu vermeiden: Die Ergänzung oder gar Ersetzung repräsentativer Gremien durch neue repräsentative Gremien. Gerade auch im Bereich des ö/r Rundfunks zeigen uns einige Vorfälle und Skandale aus jüngster Vergangenheit, dass die Kontinuität und enge, jahrelange, teilweise klandestine Verflechtung von Akteuren zu erheblichen Verwerfungen führt. Partizipation lebt von Deliberation, nicht von Kontinuität. Letztere ist der Feind von Transparenz, Distanz und kritischen Debatten. Das gilt für alle Gremien, unabhängig davon, ob sie gewählt, ernannt oder gelost werden. Gleichzeitig ist mangelnde Kontinuität wiederum ein möglicher Widerspruch zu Qualität. Insbesondere dann, wenn »normale« Bürger*innen ohne umfangreiches Vorwissen komplexe Sachverhalte bewerten und entsprechende Entscheidungen treffen sollen, ist ein hohes Manipulationspotential vorhanden. Genau das ist das bereits angesprochene problematische Verhältnis von Qualität und Erdung. Sinnvolle Partizipation konzentriert sich also auf ethische Abwägung, Lokalisierung von möglichen Konflikten, Einbringung unterschiedlicher Interessen und Wahrnehmungen und im Idealfall Erarbeitung von Lösungspfaden für eben jene Konflikte. Die Entwicklung eines Beteiligungsmodell mit dem langfristigen Ziel eines »partizipativen gesellschaftlichen Rundfunks« ist also, wie wir gesehen haben, machbar, aber herausfordernd. Und sicher im Rahmen dieses kurzen Beitrags nicht möglich.

Einige Ideen, Ansätze und Pfade können wir dennoch andiskutieren. In der Finanzierung greifen die gleichen Herausforderungen, die wir aus der zwischenzeitlich 30 Jahre alten Praxis der Bürgerhaushalte kennen: Die Komplexität verhindert tiefe Beteiligung. Und dort, wo sie dennoch angeboten wird, nehmen sie nur Wenige (aus ganz bestimmten Milieus) war. Dennoch ist Beteiligung möglich und sinnvoll: Für die ganz großen Rahmenbedingungen – und die kleinen, oft unbeachteten Themen. Übertrag auf den ö/r Rundfunk heißt dies: Es ist beispielsweise problemlos möglich, zwischen die regelmäßige Finanzbedarfsermittlung der »Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten« (KEF) und der Entscheidung der Landesregierungen ein Beteiligungsformat zu platzieren, dass den Bericht kritisch hinterfragt und Empfehlungen dazu formuliert.

Noch grundsätzlicher – und mutiger – ist tatsächlich ein Beteiligungsprozess, der die langfristige Rolle (Programmatik und Finanzierung) des ö/r Rundfunks diskutiert und eine Vision eines partizipativen gesellschaftlichen Rundfunks entwickelt. Der Prozess kann mit Formaten auf Ebene der Landesrundfunkanstalten beginnen und dann bundesweit zusammengeführt werden. Als Formate kommen Planungszellen ebenso in Frage wie Appreciative Inquiry[4] oder Partizipatives Backcasting[5].

Mobile Hörer/Zuschauerversammlungen[6], Town-Hall Meetings[7] oder Open-Space-Konferenzen[8] können regional vorgeschaltet werden. Sie können Themen lokalisieren, Aufmerksamkeit wecken, bei der Rekrutierung für den weiteren Prozess helfen und durch breite, aufsuchende ad-hoc Beteiligungsangebote wie z.B. das »Rote Sofa«[9] begleitet werden.

Auch die »kleinen« Themen können – ohne mit obigem Prozess zu konkurrieren, partizipativ adressiert werden. In der Beteiligung an kommunalen Finanzen hat dies zum zwischenzeitlich in vielen deutschen Kommunen praktizierten Konzept der »Bürgerbudgets« geführt (Sommer/Marticke 2021). Auch sie sind divers, folgen aber alle einem ähnlichen Prinzip: Im öffentlichen Haushalt wird ein Betrag X reserviert. Alle Bürgerinnen und Bürgern können Vorschläge zu dessen Verwendung machen und auch konkrete Projekte vorschlagen. Regelmäßig werden diese Vorschläge – meist nach einer fachlich-rechtlichen Prüfung dann öffentlich zur Abstimmung gestellt. Welches Projekte realisiert werden, entscheiden die Bürgerinnen und Bürger. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich ein ähnliches Konzept auch im Rahmen des ö/r Rundfunks vorzustellen.

Dies sind nur einige erste Gedanken zu eine partizipativeren Finanzierung, die weiteren angesprochenen Wirkungsfelder haben ähnliches, anderes und zum Teil erheblich umfassenderes Potential. Das gilt auch für die Rekrutierungsmodelle. Bundesweite Formate werden tatsächlich regelmäßig losbasiert besetzt, aus rein technischen Gründen. Nur so kann aus 80 Millionen potentieller Teilnehmer*innen sinnvoll eine auch sozial breite Besetzung erfolgen. Losbasiert heißt jedoch nie reines Auslosen. Denn oft nimmt nur einer von 20 Ausgelosten die Einladung zur Beteiligung auch an – und das sind regelmäßig ähnliche Akteure (männlich, älter, gebildet und relativ wohlhabend). Es bedarf also sogenannter Gewichtungsprozesse, sonst ist zwar die reine (Los‑)Lehre realisiert, aber die soziale Zusammensetzung letztlich ziemlich ähnlich jener im alten Athen. Je näher wir aber der lokalen Lebenswirklichkeit kommen, je eher sind offene Prozesse möglich, die grundsätzlich allen ein Angebot machen, die sich einbringen wollen. Das ist in einer partizipativen Demokartei wichtig, darf aber nicht genügen. Denn die schon bei losbasierten Verfahren angesprochene soziale Dysbalance gilt auch hier. Deshalb werden offene Angebot durch sogenannte »aufsuchende Beteiligung« ergänzt, bei der gezielt genau jene Milieus angesprochen werden, die ansonsten unterrepräsentiert sind.

Und auch ein viertes Rekrutierungsformat ist gerade im Fall des ö/r Rundfunks zu empfehlen: Eigenständige Formate für bestimmte Gruppen wie Jugendliche, Senior*innen, Migrant*innen, Menschen mit körperlichen Einschränkungen – denn dort entstehen die besten Ergebnisse, wenn sie sich gegenseitig inspirieren.

Partizipation als Pfad zur Zukunftsfähigkeit

Abschließend können wir festhalten: Ein zukunftsfähiger gesellschaftlicher Rundfunk in einer diversen Gesellschaft wird erheblich partizipativer sein als heute. Mit einer Gremienreform alleine ist es nicht getan. Es bedarf einer umfassenden Beteiligungskultur zu vielen Themen, mit vielen Beteiligten und unterschiedlichen Formaten. Dazu gehört auch innere Partizipation in Fragen der Programmgestaltung, der Organisation, der Personal‑ und Entwicklungsplanung. Denn Beteiligung lebt von Betroffenheit. Das bedeutet letztlich auch, überall, wo Betroffenheit existiert, gibt es auch Ansätze für Beteiligung. Und angesichts der bekannten Entwicklungen umfasst innere Partizipation im Rundfunk auch Beteiligung der Freien Mitarbeitenden.

Die gute Nachricht lautet: Der Einstieg in Partizipation ist erstaunlich einfach. Anfangen kann man mit jedem Thema, jedem Wirkungsfeld, jedem Ziel. Denn das Wunderbare an der Partizipation ist: Erst einmal begonnen entwickelt sie stets eine erstaunliche Dynamik. Wenn sie gut gemacht ist – und sogar, wenn sie weniger gut gemacht ist. In letzterem Fall ist sie dann möglicherweise etwas konfliktreicher. Schmerzfrei ist Beteiligung ohnehin nie. Dafür ist die Lernkurve oft überraschend hoch, gerade auch in eingeschliffenen oder gar verkrusteten Strukturen.

Man muss nur beginnen.

Jörg Sommer ist Sozialwissenschaftler, Journalist und Schriftsteller. Für die Stärkung und Weiterentwicklung unserer Demokratie engagiert er sich u.a. als Direktor des Berlin Institut für Partizipation und als Koordinator der Allianz Vielfältige Demokratie. Er publiziert einen wöchentlichen Newsletter zu Demokratie und politischer Teilhabe, der kostenlos abonniert werden kann: https://demokratie.plus

Literatur und Verweise

Deutschlandfunk (2017): Die AfD will »schlanken Bürgerfunk«, 18.04.2017, https://www.deutschlandfunk.de/afd-ueber-rundfunk-die-afd-will-schlanken-buergerfunk-100.html (aktuell zuletzt am 16.05.2023)

Dienel, Peter (1978), Die Planungszelle. Der Bürger als Chance, Wiesaden, 1978

Habermas, Jürgen (1992), Drei normative Modelle der Demokratie: Zum Begriff deliberativer Demokratie. In: Herfried Münkler (Hg.): Die Chancen der Freiheit. Grundprobleme der Demokratie. München und Zürich 1992. S. 11-24.

Jacobsen, Lenz (2021), Politik kann doch jeder, ZEIT Online, 03.01.2021, https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-12/buergerrat-demokratie-politik-wahlsystem-auslosung (aktuell zuletzt am 16.05.2023)

Röcke, Anja (2005), Losverfahren und Demokratie – historische und demokratietheoretische Perspektiven, Münster 2005.

Rhodes, Peter (1985), The Athenian Boule. 2. Auflage, Oxford 1985

Sommer, Jörg (2021), Parteien und Bürgerbeteiligung – Konkurrenz, Instrument oder ein großes Missverständnis?, Berlin, 2021.

Sommer, Jörg und Bernd Marticke (2021), Bürgerbudgets als Katalysator kommunaler Teilhabe. In: Jörg Sommer (Hg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #4, Berlin, 2021.

Stahl, Michael (2003), Gesellschaft und Staat bei den Griechen. Klassische Zeit. Paderborn, 2003.

[1]Der erste Bürgerrat in Deutschland wurde 2019 vom Verein »Mehr Demokratie« veranstaltet. Sein Thema: »Demokratie«. Eine der Empfehlungen: Mehr Bürgerräte. Es folgte ein Experiment des Deutschen Bundestages mit dem Bürgerrat »Deutschlands Rolle in der Welt«. Seitdem gab und gibt es zahlreiche Bürgerräte insbesondere auf kommunaler bzw. Landesebene und unabhängig organisiert durch unterschiedliche NGOs.

[2]Eine publizierte Gesamtaufstellung gibt es nicht. Im Internet finden sich zahlreiche Format- und Methodensammlungen, in der Datenbank des Berlin Instituts für Partizipation befinden sich knapp über 400 Formate.

[3]Eine Planungszelle ist eine Gruppe von ca. 25 im Zufallsverfahren ausgewählten Personen, die Lösungsvorschläge für ein vorgegebenes Planungsproblem erarbeiten soll. Die Ergebnisse ihrer Beratungen werden in einem so genannten Bürgergutachten zusammengefasst und den politischen Entscheidungsinstanzen als Beratungsunterlage zur Verfügung gestellt.

[4]Appreciative Inquiry führt in vier Schritten vom Entdecken (Discovery) und Träumen (Dream), zur Planung (Design) und zur letzten Phase des Dialogs über die gemeinsame Bestimmung (Destiny) im Projekt, der Gruppe oder der Organisation.

[5]Beim Partizipativen Backcasting geht es darum, eine gemeinsame Vision zu entwickeln, welche den gewünschten Zustand beschreibt. Anschließend werden rückwärts nötige Entwicklungsschritte erarbeitet.

[6]Ein Beteiligungsformat in Form einer Reise z.B. durch ein Rundfunkhaus. Es ist mehr als eine Besichtigungstour, sondern realisiert Beteiligung »on location«.

[7]Town Hall Meetings haben in den USA bereits eine lange Tradition: Schon seit dem 17. Jahrhundert sind sie fester Bestandteil der dortigen kommunalen Partizipationskultur. In einer offenen Versammlung wird ein Thema diskutiert, oft eingeleitet durch zwei konträre Inputs.

[8]Selbstgesteuerte Kleingruppen erarbeiten im Rahmen einer gemeinsamen Konferenz zu einem vorgegeben Thema in einem autonomen Prozess Positionen und Lösungen.

[9]Tatsächlich wird hier ein Sofa dort platziert, wo viele Menschen vorbeikommen. Dort werden diese eingeladen, sich im Gespräch mit einem Moderator oder einer Moderatorin spontan zu den gefragten Themen zu äußern. Die Ergebnisse werden ausgewertet und fließen in Folgeprozesse ein.

Zuerst veröffentlicht in: Lipp, Thorolf; Wiedemann, Dieter (2024): Medienzukunft 2025. Wie kann Vielfalt gelingen. Zur Weiterentwicklung der ö/r Medien. Bielefeld. transcript. 

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