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Die DEUTSCHE AKADEMIE FÜR FERNSEHEN soll in der öffentlichen Diskussion über die Medien und ihre Inhalte zu einer Stimme der Fernsehschaffenden werden und das Bewusstsein für die kreativen und künstlerischen Leistungen derjenigen, die die Fernsehprogramme gestalten, fördern und stärken.

Zweck laut Satzung der DEUTSCHEN AKADEMIE FÜR FERNSEHEN ist die Entwicklung des deutschen Fernsehens als wesentlichen Bestandteil der deutschen Kultur sowie der deutschen Kulturwirtschaft zu fördern und deren Vielfalt zu erhalten, das Gespräch und den Austausch von Ideen und Erfahrungen zwischen den deutschen Fernsehschaffenden insbesondere auch zwischen freiberuflichen und in Sendern festangestellten anzuregen, zu stärken und zu pflegen, den Diskurs zu inhaltlichen und wirtschaftlichen Aspekten des deutschen Fernsehens zu führen.

Dazu werden öffentliche Veranstaltungen zu kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Themen im audiovisuellen Bereich organisiert, Weiterbildungsveranstaltungen für im audiovisuellen Bereich tätige Personen unter Leitung von Mitgliedern des Vereins oder externen Experten durchgeführt, und die Verleihung einer Fernsehauszeichnung, gegebenenfalls mit noch zu bestimmenden Partnern, vorbereitet und durchgeführt.

Die Akademie hat ihren Sitz in Berlin und München. Sie wird allen kreativen Fernsehschaffenden mit langjähriger Erfahrung und besonderer Leistung bei der Herstellung deutscher Fernsehwerke aus den Bereichen Fiction, Non-Fiction, Unterhaltung und Journalismus offen stehen.
Ab 2024 ist der normale Beitragssatz € 180, in Ausnahmefällen ist er reduziert.

Bitte beachten Sie unsere angepassten Mitgliedsbeiträge ab Januar 2024.

Diese entnehmen Sie der aktualisierten Beitragssatzung unter https://daff.tv/wp-content/uploads/2023/09/Beitragsanpassung_Anlage3_MVDAfF_2023_final.pdf

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Jonas Karpa: Vielfalt in den Medien durch Teilhabe und Repräsentation sichtbar machen

Vielfalt in den Medien durch Teilhabe und Repräsentation sichtbar machen

Einleitung

Unsere Gesellschaft ist vielfältig. Vielfältig in ihrem Geschlecht, ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung, ihrem Alter, ihrer Klasse oder ob ihrer Behinderung. Diese Vielfalt wird uns selbst aber leider nicht immer bewusst. Sonderstrukturen, in sich geschlossene Systeme oder Sondereinrichtungen – bei Menschen mit Behinderung zum Beispiel Förderschulen, Wohnheime oder Werkstätten – sorgen dafür, dass nur wenig Begegnung mit Behinderung im Alltag stattfindet. Dort, wo Sichtbarkeit ansonsten auch noch stattfinden könnte, in den Medien, werden Menschen mit sogenannten Vielfaltsmerkmalen ebenso selten repräsentiert. Und wenn, dann sind die Geschichten nicht selten voller Klischees, die wiederum eher zu einem Gefühl von Fremdheit, statt zu einem gemeinsamen Miteinander führen.

Insbesondere Verbände und Initiativen von Betroffenen kritisieren schon lange, dass in Film und Fernsehen – und auch in anderen medialen Publikationen und Beiträgen – Vielfalt selten und selten klischee‑ und diskriminierungsfrei dargestellt wird.[1] Zu dieser Wahrnehmung gab es zwar einen Community übergreifenden Konsens, sie war aber sehr subjektiv und hatte, neben eigenen, persönlichen Erfahrungen keine Beweislast über strukturelle Missstände.

Umfrage »Vielfalt im Film« schafft Fakten

Um dieses Gefühl mit Fakten zu stützen, bildete sich 2018 unter dem Namen »Vielfalt im Film« ein Bündnis von unterschiedlichen Organisationen und Vereinen aus der Film‑, Kultur‑ und Medienlandschaft, um eine Umfrage unter Filmschaffenden über Vielfalt und Diskriminierung durchzuführen. Das Berlin Asian Film Network, der Bundesverband Regie, Diversity Arts Culture, der Deutsche Blinden‑ und Sehbehindertenverband, die Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF, die Kinoblindgänger gGmbH, Korientation, Label Noir, Langer Media Consulting, Leidmedien, Panthertainment, ProQuote Film, die Queer Media Society und die Schwarze Filmschaffende Community entwickelten zusammen mit Citizens For Europe über zwei Jahre lang einen Fragenkatalog, der schließlich den Mitgliedern des Netzwerks Crew United vorgelegt wurde. Über 6.000 Filmschaffende in ihren 440 Berufen nahmen an der intersektionalen Online-Umfrage teil, wodurch erstmals in Deutschland umfassende Daten zu ihren Erfahrungen vor und hinter der Kamera vorliegen. Die Ergebnisse der Umfrage deuten darauf hin, dass Diskriminierung die deutsche Filmbranche durchzieht und die Teilhabe von Filmschaffenden mit unterschiedlichen Vielfaltsbezügen einschränkt. Erkenntnisse waren unter anderem, dass:

  • acht von zehn (81 %) der befragten Cis-Frauen angegeben haben, in den letzten zwei Jahren sexuelle Belästigung im Arbeitskontext erlebt zu haben. Ein Großteil von diesen sogar mehrfach (73 %).
  • etwa vier von zehn teilnehmenden LSBTIAQ+ Filmschaffenden im Arbeitskontext nie bis nur manchmal offen mit ihrer sexuellen Orientierung (40 %) und/oder Geschlechtsidentität (34 %) umgehen. Auch aus Angst vor negativen Konsequenzen für ihre Karriere.
  • die befragten Schwarzen und Filmschaffenden of Color in der Filmbranche seltener fest angestellt sind und insgesamt auch weniger verdienen.
  • auch befragte Frauen seltener festangestellt sind als ihre männlichen Kollegen, das gilt vor allem für Frauen, die rassistisch benachteiligt sind.
  • Filmschaffende mit Behinderung und/oder Beeinträchtigung deutlich unterrepräsentiert in der Filmbranche sind. Sie müssen mehr unentgeltliche Tage arbeiten.
  • Mehr als drei von vier der befragten Filmschaffenden der Aussage zustimmen, dass u.a. folgende Gruppen klischeehaft dargestellt werden: Arabische Menschen (87 %), muslimische Menschen (83 %), Sinti*zze und Roma*nja (81 %), Menschen mit einem niedrigen sozialen Status (79 %), Schwarze Menschen (78 %) und asiatische Menschen (75 %).
  • zwei von drei (70 %) der betroffenen Filmschaffenden ihre Diskriminierungserfahrung im Arbeitskontext nicht gemeldet haben. Mögliche Ursachen laut Betroffenen: Fehlende Konsequenzen oder die Diskriminierung hat nach einer Meldung erneut stattgefunden oder gar zugenommen.[2]

Erwähnenswert bei den Ergebnissen der Umfrage ist auch, dass die Perspektive bzw. das Vorkommen von Menschen mit Behinderung praktisch so gut wie nie vorkommt. Die Datenlage ist teilweise so gering, dass sich keine messbaren Ergebnisse zeigen lassen. Ein Fakt, der die prinzipielle Wahrnehmung und Repräsentation von Behinderung in unserer Gesellschaft widerspiegelt.

Häufig wird, wenn von Diversity gesprochen wird, der Aspekt Behinderung vergessen. Es geht eher um Geschlecht, Hautfarbe oder Herkunft. Im Gegensatz zu dem Begriff der Inklusion: Obwohl es eigentlich ein soziologischer Begriff ist, der die Einbeziehung von Menschen in der Gesellschaft beschreibt, wird die Bezeichnung Inklusion fast zu einem monopolartig genutzten Wort, wenn es um Behinderung geht. Aber auch People of Color oder Menschen mit Migrationserfahrungen können in der Gesellschaft inkludiert werden. So entstehen dann in Unternehmen teilweise seltsam anmutende »Diversity & Inclusion« Abteilungen, die dennoch nicht alle Menschen mitdenken.

Beim Thema Behinderung scheint immer ein gewisser gedanklicher Mehraufwand mitzuschwingen, sich auch um Barrierefreiheit kümmern zu müssen. Für andere Communities braucht man eben keinen Aufzug, Leichte Sprache oder Dolmetscher*innen. Natürlich sind dies besondere Maßnahmen, aber sie sind noch lange kein Grund, einen Teil unserer Gesellschaft strukturell auszuschließen. Darüber hinaus wirkt bei Maßnahmen zur Barrierefreiheit auch der sogenannte »Curb Cut Effekt«. Er besagt, dass Vorkehrungen, die man eigentlich nur für eine kleine Zielgruppe umsetzt, dennoch allen zugute kommt. Wörtlich übersetzt: Abgesenkte Bordsteinkanten für Menschen, die im Rollstuhl unterwegs sind, helfen auch Personen, die einen Kinderwagen schieben oder einen Rollator benutzen.

Menschen mit Behinderung – eine Minderheit?

Wenn man an behinderte Menschen denkt, dann hat man vielleicht oft eine kleine Gruppe im Kopf, eine Minderheit. Eine Gruppe, die man in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren versucht, die aber häufig noch marginalisiert wird. Wirft man jedoch einen Blick auf die Zahlen, so wird man feststellen, dass es eventuell mehr Menschen mit Behinderung gibt als man geglaubt hat: Allein in Deutschland hat jeder zehnte Mensch eine Behinderung, knapp acht Millionen. In der EU sind es fast 40 Millionen und auf der ganzen Welt über eine Milliarde Menschen mit Behinderung. Zahlen, die verdeutlichen, dass es sich hier eben nicht um eine Randgruppe handelt, sondern um einen relevanten Anteil in unserer Gesellschaft – auch als Teil von Zielgruppe und Publikum. Und der Anteil kann sogar noch größer sein: Bei den statistischen Erhebungen werden eben nur Menschen mit einer amtlich bestätigten Schwerbehinderung, also mit einem Grad der Behinderung von 50 und mehr, gezählt. Die Dunkelziffer kann demnach weitaus höher liegen. Interessant ist ebenso, dass der Anteil von Menschen mit Behinderung in Deutschland, die ihre Behinderung seit der Geburt haben, bei nur 3,3 % liegt und, auch aufgrund der immer besser werdenden medizinischen Versorgung und der damit einhergehenden Pränataldiagnostik, weiter sinkt. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass der Großteil der Menschen ihre Behinderung im Laufe des Lebens erwirbt. Diese Tatsache soll aber nicht Ängste schüren, sondern soll vielmehr dafür sensibilisieren, sich grundsätzlich mit den Themen Inklusion und Barrierefreiheit auseinander zu setzen, da sie vielleicht früher oder später auch für einen selbst relevant werden könnten.

Klischeehafte Blicke auf Behinderung

Gerade weil das Thema Behinderung vielleicht in manchen Menschen Berührungsängste auslöst und man sich dadurch nicht viel damit auseinandersetzen möchte, gibt es immer noch Vorbehalte und wenig Begegnung im Alltag von behinderten und nicht-behinderten Menschen in unserer Gesellschaft. Das hält gängige Klischees und Vorbehalte aufrecht, die dann in den Medien reproduziert werden.

Einer der häufigsten klischeehaften Blicke auf Behinderung ist der medizinische Blick. Im Fokus liegen die Erkrankung, der Unfall, das wahrgenommene Defizit der Person. Man geht in diesem Blick von einer »gesunden Norm« aus und beleuchtet, was bei der behinderten Person nicht in Ordnung ist. Der Ursprung dieses Blickes liegt in der Entwicklung der Modelle von Behinderung. Früher war das medizinische Modell tonangebend, welches die medizinische Diagnose von Behinderung hervorhob. Heute ist das soziale Modell vorrangig. Es zeigt, dass ein Mensch nicht nur eine Behinderung hat, sondern auch behindert wird – zum Beispiel durch Barrieren oder in Form von Diskriminierung. Die UN-Behindertenrechtskonvention hebt das in ihrer Definition von Behinderung auch noch einmal klar hervor, indem sie sagt, dass »Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs‑ und umweltbedingten Barrieren [entsteht] […], die sie an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern.«

Der instrumentalisierende und ausschließende Blick ist ein weiteres Klischee. Die Behinderung ist so weit in den Fokus gerückt, dass sie einzig und allein eine Rolle spielt. Durch diesen Blick wird klar gemacht, dass die Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Behinderung groß sind und es keine gemeinsamen Punkte gibt. Der Blick ist wortwörtlich exkludierend. Auf der anderen Seite kann aber auch die Behinderung der Person als Token genutzt werden, wenn man als Menschen mit Behinderung eben nur dabei oder im Fokus ist, weil man eine Behinderung hat. Alles andere ist in diesem Moment irrelevant.

Zwei Blicke, die sich wie Gegenpole gegenüberstehen, aber dennoch beide Klischees bedienen, sind der bewundernde, staunende Blick und der mitleidige Blick. Die Bewunderung äußert sich oft dadurch, dass man davon redet, dass Menschen »trotz« ihrer Behinderung etwas machen, oder aber »tapfer« ihr »Schicksal« »meistern«. Viele Dinge werden behinderten Menschen augenscheinlich nicht zugetraut und sie werden als »Helden« dargestellt. Der mitleidige Blick steht dem gegenüber: dass behinderte Menschen an ihrer Behinderung »leiden« ist hier eine der gängigen Floskeln. Sie geraten in eine Opferrolle, der man es durchaus zutraut, dass sie suizidale Gedanken hat, dass das Leben mit einer Behinderung so anstrengend, schwer und/oder ernüchternd ist.

Vielfalt in der Filmbranche schaffen

Wie aber können diese Klischees abgebaut werden und wie kann die Filmbranche vor und hinter der Kamera vielfältiger werden?

Das Themenfeld ist komplex. Neben der Produktion an sich geht es auch um die zur Verfügung stehenden Ressourcen und die Bereitstellung des fertigen Produktes. Gerade wenn es um die Umsetzung von mehr Vielfalt im Film geht, heißt es häufig aus den unterschiedlichsten Gewerken »Ja, wir würden ja gerne, aber…«. Die Produktion sagt, dass es keine Menschen mit Behinderung gibt, die den Job ausüben könnten, Schauspielschulen beschweren sich, dass sich niemand bewirbt, und die Verwertung bemängelt, dass es kaum eine Zielgruppe für vielfältige Themen gibt. Alle zeigen mit dem Finger auf andere, ohne zu realisieren, dass eine Veränderung im eigenen Arbeitsumfeld positive Auswirkungen auf die gesamte Branche haben kann. Wichtig ist nur, anzufangen.

Zugänge zu Ausbildungsstätten

Ein erstes Nadelöhr, das vielfältige Rollen und vielfältige Geschichten in der Filmbranche verhindert, sind die fehlenden Zugänge zu Ausbildungsplätzen. Schauspielschulen und Filmhochschulen müssen auch hinterfragen, nach welchen Kriterien sie Schüler*innen und Student*innen auswählen und ausbilden. Insbesondere Menschen mit Behinderung haben es schwer, da sie von Anfang an vom Bildungssystem aussortiert und in Sondereinrichtungen untergebracht werden. Die Chance, auf einer Regelschule ihr Abitur oder einen vergleichbar guten Schulabschluss zu machen, besteht viel zu selten. Wenn dies aber die gängigen Aufnahmekriterien bleiben, besteht nicht die Möglichkeit, gut qualifizierte Filmschaffende vor und hinter der Kamera einzustellen. Das Argument, dass man ja sehr gerne vielfältig Besetzen oder Einstellen würde, es aber überhaupt keine geeigneten Bewerber*innen gäbe, würde dadurch vollends entkräftet werden. Natürlich gibt es auch Filmschaffende mit Behinderung, die in unterschiedlichsten Gewerken tätig sind. Nicht selten sind sie aber, besonders im Bereich der Schauspielerei und darstellenden Kunst, Beschäftigte von Werkstätten für behinderte Menschen. Sie haben zwar die Möglichkeit, ihrer Wunschtätigkeit nachzugehen und Teil eines Ensembles zu sein, bekommen aber längst nicht den gleich Lohn wie ihre nicht-behinderten Kolleg*innen. Aktuell verdienen Menschen mit Behinderung in Werkstätten ungefähr 1,35 Euro die Stunde, was weit unter dem Mindestlohn liegt. Außerdem gibt es kaum eine Möglichkeit, dieses in sich geschlossene Sondersystem zu verlassen. Die Aufgabe von Werkstätten für behinderte Menschen ist es eigentlich, sie auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vorzubereiten. Die aktuelle Durchlassquote liegt aber bei unter einem Prozent. Ein Problem, das nicht von der Filmbranche alleine zu lösen ist, aber welches man bedenken sollte, wenn man auf der Suche nach vielfältigem Personal ist.

Neben den selbst auferlegten Richtlinien zur Aufnahme an Schauspiel‑ und Filmhochschulen spielt natürlich auch die Barrierefreiheit eine Rolle. Ist das Gebäude rollstuhlgerecht zugänglich und gibt es eine Möglichkeit, dass sich auch blinde oder sehbehinderte Menschen dort orientieren können, sind wohl die naheliegendsten Voraussetzungen. Ebenso ist aber auch die Barrierefreiheit in der Vermittlung ein wichtiges Thema: Gibt es die Möglichkeit, dass die Inhalte für gehörlose Menschen in Gebärdensprache übersetzt werden? Sind Angebote in Leichter oder Einfacher Sprache verfügbar, so dass auch Menschen mit Lernschwierigkeiten teilnehmen können? Oder auch jene, deren Muttersprache nicht deutsch ist? Wenn diese Chancen auf Zugänge gegeben werden, dann können daraus neue, auch inhaltliche, Perspektiven entstehen, die der gesamten Filmbranche zu Gute kommen würden.

Vielfältiges Storytelling

Menschen mit Behinderung würden ganz neue Facetten im Storytelling mitbringen. Als Expert*innen in eigener Sache würden sie selbst authentische Geschichten erzählen können und hätten die Chance, auf etwaige Klischees und Diskriminierung einzuwirken. Wenn Behinderung im Film stattfindet, dann wird sie fast immer instrumentalisiert. Es gibt kaum einen Film, in dem eine Figur mit Behinderung vorkommt, ohne dass es thematisiert, also offensiv darauf hingewiesen wird. Man hat manchmal das Gefühl, als würden Produzent*innen und Autor*innen Angst haben Zuschauer*innen könnten denken: »Die Person hat eine Behinderung – was werden sie sich beim Casting dabei gedacht haben? Das wird ja wohl wichtig sein«. Ein Nebenher findet nicht statt. Stattdessen gibt es klassische Opfer- oder Held*innen-Plots: Egal ob die inspirierenden Geschichten von »Forrest Gump« (1994), »Rain Man« (1988) oder der Opferrolle in »Ein ganzes halbes Jahr« (2016), in dem der Hauptcharakter aufgrund seiner Behinderung nicht mehr leben möchte. Auch der medizinische Blick wird oft in Filmen verwendet. So dreht es sich in dem Film »24 Wochen« (2016) um ein Paar, das sich damit befasst, ihr Kind mit Behinderung abtreiben zu lassen. Durch mehr Vielfalt – eben auch hinter der Kamera – könnten neue Geschichten bei der Stoffentwicklung entstehen, die gängige Klischees und Stereotype vermeiden und gleichzeitig durch authentische Repräsentanz ein größeres Zielpublikum erreichen.

Das die meisten Filme eben in ihrer Geschichte und in den unterschiedlichen Rollen (noch) nicht vielfältig sind, kann man über verschiedene »Schnelltests« herausfinden:

Der Bechdel-Wallace-Test fragt zum Beispiel, ob ein Film, eine Serie oder ein Roman mindestens zwei weibliche Charaktere zeigt, die einen Namen haben und miteinander sprechen – und zwar über etwas anderes als einen Mann. Viele Filme bestehen diesen Test nicht, darunter zum Beispiel auch die über zehnstündige Trologie von »Herr der Ringe«. Dieser Test bleibt aber sehr oberflächlich und bewertet nicht weiter aufkommende Diskriminierung oder Sexismus in den Dialogen.[3]

Etwas weiter geht hier der Mako-Mori-Test der den Bechdel-Wallace-Test erweitert. Er wurde nach einem Charakter des Science Fiction Film »Pacific Rim« benannt. Der Film fällt beim Bechdel-Wallace-Test zwar durch, zeigt aber mit der Heldin Mako Mori einen starken, emanzipierten Charakter mit asiatischen Wurzeln. Unüblich für die meist weiße und männliche Hollywood-Welt. Der Mako-Mori-Test beleuchtet deshalb nicht nur die Interaktion der weiblichen Charaktere, sondern legt Wert auf die Entwicklungskurve von mindestens einem weiblichen Charakter innerhalb des Films. Dabei soll die weibliche Figur sich eigenständig entwickeln und nicht als Beiwerk einer männlichen Hauptgeschichte dienen.[4]

Der Kent-Test eröffnet als erster Test in dieser Reihe den intersektionalen Bereich. Er beschäftigt sich mit der Darstellung und Repräsentation von weiblichen Charakteren of Color. Dieser Test aus dem Jahr 2018 ist weitaus detaillierter als die anderen Tests und funktioniert nach einem Punktesystem: Je mehr der vorgegebenen Kategorien erfüllt sind, zum Beispiel ob der Charakter seine eigene Storyline hat, ob der Charakter mit anderen Frauen of Color interagiert oder ob der Charakter keine der üblichen Stereotype widerspiegelt, umso mehr Punkte werden vergeben. Der Fokus bei diesem Test liegt aber ausschließlich auf der Hautfarbe.[5] Aspekte wie die Darstellung von queeren Charakteren und Charakteren mit Behinderung fehlen.

Hier kommt der Vito-Russo-Test ins Spiel, der von der US-amerikanischen Institution GLAAD, die sich mit der Darstellung von homosexuellen und queeren Charakteren in den Medien beschäftigt, entwickelt wurde. Der Test fragt, ähnlich wie der Bechdel-Wallace-Test, nach der Anzahl der queeren Charaktere und danach, ob sie auf ihre sexuelle Orientierung reduziert, beziehungsweise nur als Beiwerk inszeniert werden.[6]

Dem Thema der Repräsentanz von Behinderung im Film widmet sich der DisRep-Test (DisRep = Disability Representation). Umgangssprachlich wird er auch Tyrion-Test genannt – nach der Rolle des kleinwüchsigen Schauspielers Peter Dinklage in »Game of Thrones«. Auch der DisRep-Test stellt bestimmte Fragen in den Raum: Taucht mindestens ein Charakter mit Behinderung auf? Ist dieser Charakter nicht weiß, heterosexuell und cis? Wird dieser Charakter von einer Person mit Behinderung dargestellt? Dreht sich die Storyline des Charakters nicht (nur) um die Behinderung? Wird der Charakter nicht zur Inspiration oder für Mitleidseffekte gebraucht? Fragen, bei denen praktisch alle Filme, in denen Behinderung eine Rolle spielt, durchfallen.[7]

Das Prädikat eines vielfältigen Films gilt übrigens nicht nur für den fiktionalen Bereich. Auch nichtfiktionale Produktionen könnten verstärkt versuchen, Vielfaltsaspekte zu berücksichtigen. Natürlich entstehen zum Beispiel Dokumentarfilme in einem anderen Rahmen: Die Teams sind mit Regie, Ton und Kamera meistens sehr klein und möglicherweise schon über Jahre eingespielt. Und wenn ein Thema keinen Aspekt von Diversität abdeckt, dann kann man ihn auch nicht erzwingen. Und trotzdem gibt es auch beim Dokumentarfilm Möglichkeiten, vielfältige Perspektiven einfließen zu lassen. Welche Geschichte möchte ich erzählen? Besteht die Gefahr, dass ich Stereotype abbilde? Wen lasse ich zu Wort kommen? Besonders beim letztgenannten Punkt gibt es verschiedene Möglichkeiten: Wenn man Expert*innen zu Wort kommen lässt, können diese zum Beispiel auch vielfältig sein und zu einem anderen Thema sprechen. Menschen mit Behinderung sind natürlich immer Expert*innen in eigener Sache, aber sie müssen und wollen auch nicht immer zwangsläufig zum Thema Inklusion und Barrierefreiheit äußern. Auch sie haben vielleicht durch ihren Beruf eine ganz andere Expertise, sind Historiker*innen, Kulturwissenschaftler*innen oder Informatiker*innen. Behinderung könnte in diesem Zusammenhang ganz beiläufig auftauchen, ohne dass sie thematisiert wird.

Dieses Vorgehen wird »Disability Mainstreaming« genannt und sollte eines der großen Ziele in der Filmbranche sein.[8]Behinderung wird in allen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens von Anfang an wie selbstverständlich mitgedacht. Im Film müsste man noch nicht einmal groß denken: es würde zum Beispiel schon einmal ein guter Anfang sein, wenn im Tatort der oder die Nachbar*in von Täter*in oder Opfer im Rollstuhl sitzen würde und eine kleine Nebenrolle hätte. Sie wäre einfach Teil des Umfelds, des Miteinanders. Die Behinderung wäre egal, weil die Auflösung des potentiellen Mordfalls im Vordergrund stehen würde. Es gibt schon einige Serien, in denen Behinderung fast wie selbstverständlich vorkommt – jedoch sind es erstaunlicherweise Krankenhaus-Serien. Die kleinwüchsige Schauspielerin Christine Urspruch, die gehörlose Schauspielerin Kassandra Wedel und der Schauspieler Tan Caglar, der im Rollstuhl unterwegs ist, spielen allesamt Ärzt*innen. Ganz konnte die Produktion aber dennoch nicht drumherum kommen, einen Bezug zum Thema Behinderung zu nehmen. So heißt die kleinwüchsige Ärztin Dr. Klein, und die gehörlose Ärztin, die von den Lippen ablesen kann, Dr. Lipp. Eine vertane Chance von Disability Mainstreaming.

Apropos Krankenhaus-Serien: In allen Filmen dieser Art ist es gang und gäbe, sich seitens der Produktion fachliche Beratung dazuzuholen. So wird vermieden, dass zum Beispiel der Blinddarm auf der falschen Seite entfernt wird. Gleiches gilt übrigens beim Tatort, wo die Polizei mit Rat und Tat zur Seite steht. Beim Thema Diversity ist es noch nicht selbstverständlich, aber ein Sensitivity Reading wird auch hier immer häufiger in Anspruch genommen. So kann schon bei der Stoffentwicklung dieser sensiblen Themen vermieden werden, dass Klischees, Stereotype oder Diskriminierung Einkehr halten.

Cripping Up – Identität spielt man nicht!

»Ja, aber die Kommissarin im Tatort ist ja auch keine echte Polizistin!« oder »Der Schauspieler, der in dem Film einen Bäcker spielt, hat dieses Handwerk ja auch nicht erlernt!«. Das sind oftmals die Antworten, wenn man die Forderung äußert, dass Rollen mit Behinderung auch von Schauspieler*innen mit Behinderung besetzt werden sollen.

Natürlich: Der besondere Reiz in der Schauspielerei liegt darin, in ungewöhnliche Rollen zu schlüpfen, mal eine ganz andere Person zu sein, die Herausforderung an die eigenen Grenzen zu gelangen. Manche Schauspieler*innen gehen hier sehr weit. »Method Acting« heißt die Schauspieltechnik, die in den 1950er Jahren von dem Russen Konstantin Stanislawski entwickelt wurde. Bei dieser Form der Schauspielerei versuchen die Darsteller*innen durch Gedächtnistechniken und Emotionstrainings aus der Psychologie noch tiefer in ihre Rolle einzudringen, eins zu werden mit der Figur. Das oft erstaunliche Ergebnis lässt das Publikum nicht selten aufhorchen: Für die Darstellung eines aidskranken Schmugglers in »The Dallas Buyer’s Club« (2013) nahm Schauspieler Matthew McConaughey 17 Kilo ab, was ihm für seine authentische Darstellung glatt einen Oscar als bester Hauptdarsteller einbrachte. Wenige Monate zuvor war McConaughey noch als ehemaliger Stripper in dem Drama »Magic Mike« (2012) zu sehen, wo er mit seinen Sixpacks das Club-Publikum in den Bann zog. Eine, objektiv gesehen, erstaunliche Transformation des Körpers. Sich und den eigenen Körper auf ein anderes Level heben, sich für eine Rolle komplett zu verändern, das mag beim äußeren Erscheinungsbild wie beim Gewicht möglich sein. Beim Thema Behinderung kann und darf dies aber keine Rolle spielen, denn hier geht es um mehr: Es geht um die Identität. Haarfarbe, Gewicht, Kleidung – das alles sind Komponenten, die jeder Mensch frei wählen bzw. beeinflussen kann. Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht und/oder Behinderung gehören jedoch zur eigenen Identität und sollten nicht imitiert werden.

Genauso wie »blackfacing« – also das Bemalen des Gesichtes von weißen Schauspieler*innen mit schwarzer Farbe, um Schwarze Menschen darzustellen – inzwischen als rassistische Methode gesehen wird, so sollte auch die Besetzung von nicht-behinderten Schauspieler*innen auf Rollen mit Behinderungen einen ebenso großen Aufschrei hervorbringen. »Cripping Up« lautet hierfür der Fachbegriff, der damit die, unter Schauspieler*innen immer noch als Herausforderung gesehene, Imitation von Behinderung im Film beschreibt.

Sich mal eben in den Rollstuhl setzen oder so tun als könnte man nichts sehen – das ist nicht nur Aneignung von der Identität eines behinderten Menschen, es hat sogar noch viel weitläufigere Folgen für die Filmbranche. Es ist immens wichtig, dass die Filmbranche vielfältiger wird. Wenn jetzt aber Schauspieler*innen mit Behinderung nicht ihre Geschichte, ihre Interpretation weitergeben und darstellen können, weil nicht-behinderte Schauspieler*innen diese Rollen auch noch einnehmen, dann haben wir keine Repräsentanz und Zugänge mehr.

Durch filmische Anpassungen ist es sogar auch möglich, dass Schauspieler*innen mit Behinderung Rollen ohne Behinderung spielen. In der deutschen Tragikomödie »Honig im Kopf« (2014) spielt Samuel Koch – Schauspieler im Rollstuhl – einen Ticketverkäufer, der an einem Schalter sitzt. Seine motorische Beeinträchtigung wird kaschiert, indem die Bewegungen seiner Hände gedoubelt werden. Das zeigt: es ist möglich Schauspieler*innen mit Behinderung zu besetzen. Gleichzeitig stell sich aber die Frage, warum hier das Nicht-behindert-sein simuliert werden muss. Viel wichtiger wäre es stattdessen, das Thema Behinderung wie selbstverständlich im Film stattfinden zu lassen.

Um mehr Schauspieler*innen mit sogenannten »Vielfaltsmerkmalen« vor die Kamera zu bekommen, erfreut sich eine Casting-Methode aus den USA immer größerer Beliebtheit: Das Colorblind Casting. Bei dieser Methode werden die Darsteller*innen ohne Rücksicht auf ihre Herkunft, Hautfarbe, Körperform oder Geschlecht gecastet. Ihre Identität wird somit praktisch irrelevant.[9] Aber kann das die Lösung sein, Vielfalt vor der Kamera zu kreieren, indem man die Besetzung ohne den primären Blick auf Vielfaltsmerkmale vornimmt?

Nicht nur Zuschauer*innen finden es bisweilen gewöhnungsbedürftig, wenn Figuren anders aussehen als ihre historischen Vorbilder. Auch einige betroffene Schauspieler*innen haben Vorbehalte, denn beim einem Film geht es nicht nur um die Darstellung, sondern auch um den Inhalt, um die Perspektive, aus der die Geschichte erzählt wird. Natürlich kann, wie in der Netflix-Serie »Bridgerton«, die Königin Charlotte von einer Schwarzen Schauspielerin werden, jedoch bleibt es weiterhin die Geschichte aus einer weißen Perspektive. Eine Schwarze Schauspielerin nimmt hier eine privilegierte Rolle ein und die Geschichte der Diskriminierung und Unterdrückung spielt keine Rolle. Deshalb wird gefordert, dass auch hinter der Kamera, unter den Produzent*innen und Autor*innen mehr Vielfalt vorhanden sein sollte, damit die unterschiedlichsten Geschichten geschrieben, erzählt und produziert werden können.

Der Ansatz des Colorblind Castings kann eben nur dann funktionieren, wenn wirklich in der Filmbranche Chancengleichheit herrscht. Derzeit bildet die Filmbranche aber nicht die Vielfalt ab, die es in unserer Gesellschaft schon lange gibt. So haben zum Beispiel laut der Studie zur audiovisuellen Diversität im Fernsehen von der MaLisa Stiftung nur 0,4 % der Menschen, die im TV zu sehen sind, eine sichtbare Behinderung (6 % in der Bevölkerung). Bei Schwarzen Menschen sieht es mit 5 % (10 % in der Bevölkerung) ebenso mau aus wie bei Menschen mit Migrationsgeschichte: 11 % (26 % in der Bevölkerung).

Damit sich in der Filmbranche etwas ändert, muss auf diese Missstände aufmerksam gemacht werden. Dies funktioniert aktuell aber nur, wenn die Vielfalt in den Vordergrund gestellt wird. Wenn gezeigt wird, dass es wichtig ist. Wenn sie – im wahrsten Sinne des Wortes – eine »Rolle« spielt und sichtbar ist. Wenn die Möglichkeit besteht, die eigene Geschichte – auch die Diskriminierungserfahrungen – zu erzählen. Ja, die Kommissarin im Tatort ist keine echte Polizistin, aber eine Behinderung ist auch kein Beruf, sondern die eigene Identität, die akzeptiert und respektiert werden sollte. Und das geschieht nur, wenn wir Figuren mit Behinderung und anderen Vielfaltsmerkmalen dahingehend auch authentisch besetzen.

Barrierefreie Filmfassungen

Vielfältige Filme zu produzieren bedeutet auch eine Erweiterung der Zielgruppe. Als Zuschauer*in schaut man sich gerne Stoffe an, die von den Personen oder der Geschichte einen ansprechen, die eigene Lebenswirklichkeit abbilden. Man möchte sich durch die Filme repräsentiert fühlen. Je mehr also unsere vielfältige Gesellschaft in Filmen und Serien stattfindet, desto größer wird auch mein Publikum. Bei Menschen mit Behinderungen kommt noch der anfangs erwähnte Aspekt der Barrierefreiheit hinzu. Um überhaupt Publikum sein zu können, müssen Zugänge geschaffen werden. Rollstuhlgerechte Kinosäle gibt es nur wenige, und wenn, dann ist die Anzahl der Plätze stark begrenzt. Hier muss ein Umdenken der Kinobetreiber*innen stattfinden und die Politik eingreifen. Denn noch immer ist in Deutschland die Privatwirtschaft nicht dazu verpflichtet, Barrierefreiheit herzustellen. Es ist teilweise leichter, einen Kaffee in einer öffentlichen Behörden zu trinken, als in einem Café um die Ecke. Es braucht strikte Vorgaben, damit nicht von Anfang an Menschen der Zugang verwehrt wird.

Ähnlich sieht es bei der Rezeption der Filme aus. Das Angebot an barrierefreien Filmfassungen (Untertitel, Audiodeskription) muss erhöht werden. Im aktuellen Filmförderungsgesetz (FFG) ist dargelegt, dass barrierefreie Fassungen produziert werden müssen, um Fördergelder zu bekommen. Eine Veröffentlichung dieser barrierefreien Fassungen ist jedoch nicht verpflichtend. Das hat zur Folge, dass nicht selten Untertitel und Audiodeskription, mit dem Wissen, dass man sie nicht veröffentlichen muss, unzureichend und lieblos erstellt werden und den Weg zum Publikum nie finden. Die Veröffentlichung muss, gerade jetzt bei der Novellierung des FFG, verpflichtend gemacht werden. Die Verfügbarkeit von barrierefreien Filmfassungen darf nicht weiter darüber bestimmen, welche Filme sich Menschen mit Behinderungen anschauen und welche nicht.

Vielfalts-Kreislauf in der Filmproduktion

Die Tatsache, mehr Menschen mit Behinderung, oder generell mit sogenannten Vielfaltsmerkmalen zu erreichen, führt schlussendlich dazu, dass neue Vorbilder, Role Models, entstehen können. Durch eine authentische Repräsentanz steigt gleichzeitig das Interesse für das Medium Film und kann damit auch Ansporn sein, selbst in diesem Bereich tätig zu werden – vor und hinter der Kamera. Schauspiel‑ und Filmhochschulen könnten sich also dadurch nicht mehr beschweren, dass sich niemand bewerben würde. Gleichwohl wäre es dann ihre Aufgabe, für barrierefreie Zugänge zu sorgen. Somit wäre der »Kreislauf« für mehr Vielfalt im Film geschlossen und nicht nur dadurch ersichtlich, dass sich nur etwas ändern kann, wenn es an allen Stellen passiert. Das der Forderungskatalog ebenso vielfältig ist wie die Thematik, zeigt ein erneuter Blick auf die Initiative »Vielfalt im Film«. Sie fordern:

  • Diversität im Filmförderungsgesetz als Voraussetzung verankern, über Gender hinaus
  • vielfältigere Redaktionen, Gremien und Jurys sowie diversitätsgerechte Inhalte und deren Produktion.
  • Weiterbildungen für Cast und Crew zum Thema Diskriminierung, auch für Führungskräfte
  • Diversitätsbeauftragte im Produktionsprozess
  • verbindliche Regeln am Set zur Vermeidung von Diskriminierung und Rassismus
  • Stärkung der Vielfalt und Förderung benachteiligter Gruppen an Filmhochschulen und Schauspielschulen
  • Verpflichtung für barrierearme Filmfassungen

Vorbild für diese Forderungen könnten zum Beispiel die BFI Diversity Standards sein.[10] Aber auch Checklisten, wie die verpflichtende »Diversity Checklist« der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, können ein Anfang sein, um ein Bewusstsein für Vielfalt und die aktuellen Missstände in der Filmlandschaft zu schaffen.[11]

Deutschland liegt im internationalen Vergleich weit hinter Ländern wie den USA, Großbritannien oder auch Österreich zurück, was Vorkehrungen und Richtlinien hinlänglich Vielfalt im Film betrifft. Ein »weiter so« kann und darf es deshalb nicht geben. Im Prozess der Filmproduktion muss an einer Stelle mit Veränderungen begonnen werden. Warum nicht einfach bei einem selbst?

Jonas Karpa studierte Medienwissenschaften und Musikwissenschaften in Paderborn und Detmold. Er arbeitet als Journalist, Autor und Podcaster in Berlin und ist beim Sozialhelden e.V. Projektleiter von Leidmedien.de und Redaktionsleiter von Die Neue Norm. Als Vorstandsvorsitzender des Vereins „Vielfalt im Film“ setzt er sich für mehr Diversität in der Filmbranche ein.

[1] https://www.queermediasociety.org/presse-links/ (aktuell zuletzt am 10.06.2023) oder: https://leidmedien.de/journalistische-tipps/negative-beispiele/ (aktuell zuletzt am 10.06.2023)

[2] https://vielfaltimfilm.de/ergebnisse/ (aktuell zuletzt am 10.06.2023)

[3] https://bechdeltest.com/ (aktuell zuletzt am 10.06.2023)

[4] https://www.dailydot.com/parsec/fandom/mako-mori-test-bechdel-pacific-rim/ (aktuell zuletzt am 10.06.2023)

[5] https://www.themarysue.com/the-kent-test-for-woc/ (aktuell zuletzt am 10.06.2023)

[6] https://www.freitag.de/autoren/peter-rehberg/der-vito-russo-test-wie-zeigt-das-kino-homosexuelle (aktuell zuletzt am 10.06.2023)

[7] https://www.eucrea.de/sitemap/beitraege/107-hp-veroeffentlichungen/veroeffentlichungen-medien/1058-behinderung-und-inklusion-im-film-geteiltes-licht (aktuell zuletzt am 10.06.2023)

[8] Vgl. z.B. https://www.youtube.com/watch?v=KnGB0QbF3Xk (aktuell zuletzt am 10.06.2023), https://www.imew.de/de/barrierefreie-volltexte-1/volltexte/disability-mainstreaming-als-gesellschaftskonzept (aktuell zuletzt am 10.06.2023)

[9] https://www.sueddeutsche.de/kultur/bridgerton-colourblind-casting-serie-film-1.5163241 (aktuell zuletzt am 10.06.2023)

[10] https://www.bfi.org.uk/inclusion-film-industry/bfi-diversity-standards (aktuell zuletzt am 10.06.2023)

[11] https://www.moin-filmfoerderung.de/de/ueber_die_filmfoerderung/diversity-checklist-filmfoerderung.php (aktuell zuletzt am 10.06.2023)