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Interner Bereich, Filmwahl und mehr...
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Die Deutsche Akademie für Fernsehen – kurz DAFF – wurde im Dezember 2010 gegründet mit dem Ziel, den Kreativen in den unterschiedlichen Gewerken von der Entwicklung bis hin zur Herstellung von deutschen Fernsehprogrammen eine eigene Stimme zu verleihen. Wir verzeichnen derzeit knapp 800 Mitglieder.
Die DEUTSCHE AKADEMIE FÜR FERNSEHEN soll in der öffentlichen Diskussion über die Medien und ihre Inhalte zu einer Stimme der Fernsehschaffenden werden und das Bewusstsein für die kreativen und künstlerischen Leistungen derjenigen, die die Fernsehprogramme gestalten, fördern und stärken.
Zweck laut Satzung der DEUTSCHEN AKADEMIE FÜR FERNSEHEN ist die Entwicklung des deutschen Fernsehens als wesentlichen Bestandteil der deutschen Kultur sowie der deutschen Kulturwirtschaft zu fördern und deren Vielfalt zu erhalten, das Gespräch und den Austausch von Ideen und Erfahrungen zwischen den deutschen Fernsehschaffenden insbesondere auch zwischen freiberuflichen und in Sendern festangestellten anzuregen, zu stärken und zu pflegen, den Diskurs zu inhaltlichen und wirtschaftlichen Aspekten des deutschen Fernsehens zu führen.
Dazu werden öffentliche Veranstaltungen zu kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Themen im audiovisuellen Bereich organisiert, Weiterbildungsveranstaltungen für im audiovisuellen Bereich tätige Personen unter Leitung von Mitgliedern des Vereins oder externen Experten durchgeführt, und die Verleihung einer Fernsehauszeichnung, gegebenenfalls mit noch zu bestimmenden Partnern, vorbereitet und durchgeführt.
Die Akademie hat ihren Sitz in Berlin und München. Sie wird allen kreativen Fernsehschaffenden mit langjähriger Erfahrung und besonderer Leistung bei der Herstellung deutscher Fernsehwerke aus den Bereichen Fiction, Non-Fiction, Unterhaltung und Journalismus offen stehen.
Ab 2024 ist der normale Beitragssatz € 180, in Ausnahmefällen ist er reduziert.
Bitte beachten Sie unsere angepassten Mitgliedsbeiträge ab Januar 2024.
Diese entnehmen Sie der aktualisierten Beitragssatzung unter https://daff.tv/wp-content/uploads/2023/09/Beitragsanpassung_Anlage3_MVDAfF_2023_final.pdf
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Empfänger: Deutsche Akademie für Fernsehen e.V.
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Sun‑Ju Choi, Susanne Dzeik & Sonya Winterberg
Vielfalt, Chancengleichheit und der respektvolle Umgang miteinander sind in einer pluralistischen Mediengesellschaft unabdingbar. Die Realität ist jedoch eine andere: In Deutschland wurden diese Themen lange Zeit vernachlässigt, so dass es an Strukturen, belastbaren Zahlen und Visionen mangelt. Auch die dokumentarischen Formate[1] in Film und Fernsehen stehen diesbezüglich vor notwendigen, massiven Strukturveränderungen. Nur: Wie soll das gehen? Und wer setzt dies um?
Was dabei auf der Strecke bleibt: ein Innehalten und Nachdenken, gefolgt von einem Diskurs, der kritische Selbstreflexion einschließt. Und nicht zuletzt: konstruktive Ideen und Maßnahmen, die uns alle in Richtung Vielfalt und Inklusion weiterbringen. Vorhandene Lösungsansätze und innovative Konzepte verschiedener Akteur*innen müssen dabei in den Blick genommen werden. Derzeit bezieht sich ein Großteil des Diskurses auf den fiktionalen Bereich. Bei den dokumentarischen Formaten hingegen herrscht weitgehend Rat‑ und Orientierungslosigkeit. Unser Beitrag ist eine Bestandsaufnahme, die konkrete Handlungsmöglichkeiten für Dokumentarfilmschaffende aufzeigt.
Die gute Nachricht zu Anfang: Diversität hat an gesellschaftlicher Relevanz gewonnen – und das findet seinen Niederschlag auch in vielen Bereichen der Film‑ und Fernsehbranche. Doch was ist damit eigentlich gemeint? Der Begriff Diversität (häufig auch Diversity) bedeutet in gesellschaftspolitischen und organisatorischen Kontexten einen wertschätzenden und respektvollen Umgang mit der Vielfalt (aus dem Lateinischen: diversitas) von Menschen. Diese unterscheiden und ähneln sich aufgrund verschiedener individueller Charakteristika. Dabei können sich beispielsweise Menschen gleichen Alters und ähnlichen Bildungshintergrunds in Herkunft/Nationalität oder ihrer sexuellen Orientierung unterscheiden. Eine Reihe Charakteristika sind kaum oder nicht veränderbar, etwa Geschlecht/Gender, Alter oder Ethnizität. Andere können sich im Laufe eines Lebens verändern (z.B. Religion, körperliche Einschränkungen, wirtschaftliche Situation u.a.). Mit diesen gesellschaftlichen Strukturelementen gehen Stereotype, Wertungen und Vorurteile einher. Häufig sind sie daher Gründe für soziale oder berufliche Benachteiligungen. Mit dem Begriff der Diversität werden diese Unterschiede (und Gemeinsamkeiten) von Menschen positiv gesehen und wertgeschätzt. Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt helfen beim Abbau struktureller Benachteiligungen und zielen auf Chancengleichheit, Gleichstellung, Partizipation und Inklusion[2]. Die Gesamtheit dieser Maßnahmen sehen persönliche Charakteristika als Ressource und respektieren die menschliche Vielfalt. Menschen vereinen verschiedene Eigenschaften und Identitäten in sich. Dabei berücksichtigt der Begriff der Intersektionalität, dass Menschen oft wegen mehrerer Eigenschaften/Identitäten benachteiligt werden.
Wenn wir in diesem Aufsatz von Vielfalt sprechen, beziehen wir uns auf die Definition des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes[3] (AGG), also Geschlecht, sexuelle Orientierung, sozialer Status, Religionszugehörigkeit, Behinderung, ethnische Herkunft und Nationalität. Die momentanen Bemühungen um Vielfalt in den dokumentarischen Formaten müssen unseres Erachtens jedoch tiefer gehen, denn die diesbezüglichen Defizite vor und hinter der Kamera sind zutiefst strukturell bedingt. Im Großen und Ganzen bleibt die deutsche Dokumentarfilmlandschaft unserer Erfahrung nach bislang recht homogen und wenig geneigt, grundlegende Überlegungen bezüglich ihrer Privilegien anzustellen. Zwar wird die fehlende Vielfalt inzwischen auch in den Sendern, ihren Gremien und Förderinstitutionen thematisiert. Dabei bemühen sie sich häufig um sichtbare Verbesserungen[4] und haben das Thema Vielfalt zur Chef*innensache erklärt.
Diese Maßnahmen sind jedoch nicht die Folge eines plötzlichen Einsehens des gravierenden Mangels an Vielfalt[5], sondern vielmehr durch den Konkurrenzdruck u.a. der Streamingdienste und digitalen Plattformen entstanden. Diese liefern jungen Generationen andere Bilder und Perspektiven und zeigen erfolgreich, wie neue Darstellungsformen deren Wahrnehmungen prägen. Die Zeit, in der sich Medien angesichts ihrer komfortablen Finanzierung nicht um jüngere Zielgruppen bemühen mussten, scheint vorbei zu sein. Die Notwendigkeit, sich gesellschaftlich zu legitimieren, setzt heute besonders die ö/r Senderverantwortlichen zusätzlich unter Druck und betrifft, auf Grund der zahlreichen Verflechtungen, eine ganze Branche.
Welche Ergebnisse und Auswirkungen die derzeitigen Bemühungen um Veränderung tatsächlich haben werden, bleibt abzuwarten. Was aber dennoch fehlt, ist eine Reflexion über die Verantwortung und Möglichkeiten der Filmschaffenden selbst. Da Dokumentarfilmschaffende weitgehend zum Prekariat der Filmbranche[6] gehören, scheinen hier die Befürchtungen vor möglichen Verlusten von vermeintlichen Privilegien und Zugang zu den dünn gesäten Finanzierungsmöglichkeiten besonders hoch. Schon die Diversity-Checklisten der Filmförderungen, die eigentlich nur als Empfehlung dienen und u.a. Vielfalt in der Teambesetzung abfragen, lösen nervöse Reaktionen unter Kolleg*innen aus, die plötzlich feststellen, dass sie nur wenig oder überhaupt nicht divers vernetzt sind. Aus unserer Sicht muss Vielfalt als allumfassendes Querschnittsthema begriffen werden, das alle Bereiche des gemeinsamen Schaffensprozesses betrifft. Im Folgenden betrachten wir mögliche Schritte zu mehr Vielfalt auf Ebene der Institutionen, bei Buch und Regie sowie in der Produktion. Wir begreifen diese als mögliche Instrumente, die abhängig von den jeweiligen dokumentarischen Projekten genutzt werden können – oder auch nicht.
Voraussetzung für eine umfassende, selbstverständliche Diversifizierung im dokumentarischen Filmschaffen ist zunächst eine individuelle wie auch institutionelle Selbstreflexion; eine offene Auseinandersetzung mit den eigenen Strukturen und auch der eigenen Position. Sich der eigenen Rolle im Kulturbetrieb und den damit verbundenen Implikationen bewusst zu werden, heißt nicht zuletzt, sich eigene Privilegien zu verdeutlichen. Das Filmschaffen, insbesondere im dokumentarischen Bereich, ist stark von Barrieren wie dem Zugang zu Redaktionen und Produktionsfirmen über prekäre Finanzierungssituationen bis hin zu fehlenden »Connections« geprägt, wie regelmäßig bei Branchentreffs beklagt wird. Die berechtigte Kritik der Homogenität führt aus unterschiedlichen Gründen zu Legitimationsdruck und damit einhergehend zu Unsicherheiten. Daraus entwickeln sich gewisse Muster, die sich wiederholen: Rechtfertigung, Ab‑ und Ausgrenzung. Statt reflexartige Abwehrmechanismen loszutreten, müssen eine offene Gesprächskultur herrschen und konkrete Maßnahmen ergriffen werden, um Zugänge zu öffnen und bisherige Barrieren durchlässiger zu machen.
Häufig wird behauptet, dass durch verbindliche Anforderungen für mehr Diversität in Filmförderungen oder anderen Institutionen »die Kunst(freiheit) und Qualität leide«. Diese Aussage erwies sich bereits bei der Einführung der Frauenquotierung als irrige Annahme. Sie fußt auf der Grundthese, dass sich Qualität automatisch durchsetzen würde und müsse und Werke, die einzig aufgrund einer Quotierung zustande kommen, quasi per se einen Mangel aufweisen. Diese Leugnung struktureller Benachteiligung geht einher mit der spannenden Frage, woran sich Qualität festmacht und wer dies festlegt. Ähnliches wird nun bei der Forderung nach Diversität in den Raum gestellt; Beliebigkeit und Qualitätsverlust wären die Folgen. Beim genaueren Hinsehen erweist sich das Gegenteil als richtig: Diversität ist eines der zentralen Qualitätskriterien, denn Multiperspektivität und sensibler Umgang mit gesellschaftlichen Machtgefällen sind die Grundpfeiler für Teilhabe und Demokratie.[7]
Doch wie sähe eine angemessene Quotierung überhaupt aus? Wie und von wem werden die Zahlen dafür bereitgestellt? Bislang tut sich die Film‑ und Medienbranche schwer damit, überhaupt Zahlen zu erheben. Um konkrete Mängel und Defizite zu erfassen und Maßnahmen für mehr Vielfalt zu ergreifen, sind diese Zahlen aber ein unumgängliches Instrument. Wer nicht erfasst wird, hat keine Priorität. Sind keine belastbaren Daten vorhanden, stellt sich selten ein Problembewusstsein ein. Das heißt wiederum, dass keine Maßnahmen ergriffen werden, um Gleichstellung herzustellen, wie die Studie von »Vielfalt entscheidet«[8] aufzeigt. Nur mittels konkreter Daten und Zahlen kann Uniformität dokumentiert und korrigiert werden. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen u.a. auch der Diversity Guide der Neuen deutschen Medienmacher*innen und die Studie zur Vielfalt im Film.[9] Aber: Es kommt nicht darauf an, sich akribisch an Quoten zu halten. Wichtiger ist, dass diejenigen, die bislang wenig oder nicht berücksichtigt wurden, sichtbar werden. Das heißt auch, dass sich Filmschaffende gemeinsam auf das Wollen einigen und verbindliche Schritte einleiten müssen. Damit einhergehend stellt sich die Aufgabe, die marginalisierten Bevölkerungsgruppen adäquat abzubilden, ohne sie auf Stereotype zu reduzieren oder als Token[10] einzusetzen. Dafür sind qualitative Erhebungen[11], die Erfahrungen, Wissen und fortwährenden Austausch berücksichtigen, eine wichtige Grundlage.[12]
Bei Projekt‑ und Stellenausschreibungen sollte die Frage gestellt werden, ob gängige Anforderungen tatsächlichen Qualitätskriterien entsprechen. Beispielsweise ist bereits heute an manchen Filmhochschulen das Abitur keine Voraussetzung mehr für ein Filmstudium. Ebenso sollten Hochschulabschlüsse oder Promotionen keine automatische Voraussetzung mehr für Stellenbesetzungen sein. Für ein diverses Recruiting sollten Communitys mit einbezogen werden, die gezielte Ansprache für erwünschte Zielgruppen leisten können. Die Vorteile sind offenkundig: Antidiskriminierungskompetenz, Mehrsprachigkeit und Community-Anbindung. Ein weiteres Beispiel für erschwerte Zugänge ist die Altersbeschränkung, an der viele Filmhochschulen weiterhin festhalten; so werden etwa Personen ab vierzig, die sich nach anderen beruflichen Erfahrungen neu orientieren möchten, kaum noch zugelassen. Denkbar sind darüber hinaus bedarfsgerechte staatliche Förderprogramme, auch finanzieller Art, für Mitglieder benachteiligter Gruppen, die durch Mentor*innen begleitet werden.[13]
Vielfalt beginnt im Kopf, d.h. bereits während der Ideensuche und ‑findung. Sie sollte zu einem Entscheidungskriterium für die Vergabe von Förderungen oder Zusagen für Auftragsproduktionen werden. Die Fragen, denen die Filmschaffenden in dieser Phase nachgehen, gibt Aufschluss darüber, ob sie Vielfaltdimensionen berücksichtigen oder nicht. Dabei geht es nicht nur um eine Erweiterung der Themenfelder, sondern um eine Verknüpfung verschiedener Sichtweisen, die eine multiperspektivische Betrachtung ermöglicht. Was dabei oft verwechselt wird: Die Präsenz einer Schwarzen Person ergibt allein keine Story, da Herkunft und Hautfarbe keine Geschichte ergeben. Das gleiche gilt für Menschen mit Behinderung. Wichtig ist ein intersektionaler Blick auf die Menschen, deren Geschichten und Leben. Bei genauerem Hinsehen ergeben sich bei den meisten Menschen unterschiedliche Kontaktzonen und Berührungspunkte mit Diversitätsmerkmalen. Sind diese nicht augenscheinlich, so lohnt ein zweiter Blick, um Querverbindungen zu schaffen. Ein anderer, weit verbreiteter Irrtum lautet, dass mit internationaler Besetzung bereits Diversity hergestellt ist. Aber: Internationalität ist nicht gleichzusetzen mit Vielfalt, denn internationale Besetzung wird oftmals durch Besetzung mit weißen Personen aus dem europäischen Raum erreicht. Das Fehlen von People of Color bleibt in diesen Fällen beispielsweise unsichtbar.[14]
Zusätzlich sollten Sender und Förderinstitutionen ihre Mitarbeitenden rund um die unterschiedlichen Vielfaltsdimensionen sensibilisieren; Handreichungen, regelmäßige Workshops und Weiterbildungen[15] helfen zu prüfen, ob gesteckte Ziele erreicht wurden.
Weitere Maßnahmen könnten sein:
Im deutschen Filmgeschäft haben multiperspektivische Erzählweisen und kollektive Arbeitsprozesse bislang wenig Raum. Größere Filmproduktionen sind meist stark hierarchisch, allein schon, weil sich traditionell große Budgets schwer demokratisch verwalten lassen. Während aus Diversity Sicht die Überpräsenz weißer Cis-Männer vor und hinter der Kamera bemerkenswert ist, muss hier jedoch auch gefragt werden, aus welchen Quellen sich die Finanzströme speisen, und welche Weltbilder dadurch transportiert werden. Während die Produktion die marktgerechte Verwertbarkeit des Produkts im Blick behält, darf sich die Regie im ihr zugeschriebenen Rahmen verwirklichen und ihre Sicht präsentieren. Die anderen Gewerke haben ihr dabei zu folgen. Was im deutschsprachigen Raum dabei bislang herauskommt, sind zumeist bildungsbürgerliche Perspektiven einer gesellschaftlich dominierten weißen, heterosexuellen Norm. Davon profitieren hauptsächlich jene, die die Codes der »Inner Circles« internalisiert haben.[18]
Da sich insbesondere abendfüllende Dokumentarfilme, die ihren Platz vor allem im Kino und auf Festivals finden, wirtschaftlich meist schwer vermarkten lassen, sind in diesem Bereich die finanziellen Bedingungen besonders prekär. Auch in Fernsehproduktionen arbeiten Regisseur*innen nicht selten unterhalb des Mindestlohns. Dies führt wiederum dazu, dass sich Dokumentarfilmschaffende die Verwirklichung von Projekten leisten können müssen. Um einen breiteren gesellschaftlichen Zugang zu ermöglichen, braucht es hier also zunächst auch finanzielle Anreize, die es marginalisierten Gruppen ermöglicht, im dokumentarischen Bereich tätig zu werden. Mit dem Beginn der Digitalisierung demokratisierte sich der Zugriff auf die Produktionsmittel. Eine Bilderflut überzieht inzwischen das Internet, doch nach wie vor fehlen systematische Auswertungen und Handlungsanweisungen demokratie‑ und diversitätsfördernder Herstellungsprozesse. Kollaborative Produktionsprozesse etwa können zu mehr Vielfalt beitragen, werden jedoch weder systematisch gelehrt, noch sind sie regelmässig auf dem Radar der Entscheider*innen, die den finanziellen Zuschlag zur Realisierung eines Projektes geben. Dabei finden sich Modelle und Erfahrungen anderer Produktionsweisen vor allem außerhalb der etablierten Strukturen, wie zum Beispiel in sozialen Bewegungen, die sich in den Darstellungen der sogenannten Mainstream-Medien nicht angemessen dargestellt sahen und stattdessen eigene Filme produzierten.[19] Die Markteinführung des Sony Porta-Packs 1967, der ersten tragbaren Videokamera‑ und ‑rekordereinheit, löste euphorische Hoffnungen auf einen, emanzipativen Mediengebrauch aus.[20] Filmkollektive bildeten sich verstärkt seit den 70er Jahren in kritischer Abgrenzung zu dem noch jungen ö/r Fernsehen mit dem Ziel einer emanzipativen Gegenöffentlichkeit. Schon früh wurde nach Ansätzen gesucht, nicht über Protagonist*innen zu berichten, sondern mit ihnen. Auch sollten Filmworkshops in den sozialen Bewegungen selbst, zum Beispiel für Arbeiter*innen, diese dazu ermächtigen, ihre eigenen Filme zu produzieren (vgl. ebd.). Die Selbstherrlichkeit einer einzelnen Regie wurde kritisch gesehen. Dokumentarfilme entstanden oft kollektiv und in permanenten Auseinandersetzungsprozessen. Namensnennungen im Abspann galten häufig als verpönt, denn Filme wurden als gemeinsames Produkt der Gruppe verstanden (vgl. Godmilow: 2022). Eine Patentlösung für alle Herausforderungen ist nicht in Sicht, aber einige Instrumente können dazu beitragen, zu mehr Vielfalt vor und hinter der Kamera zu gelangen.
Diese können den jeweiligen unterschiedlichen Anforderungen des Filmprojektes entsprechend zum Beispiel sein:
Ein Beispiel: In einem Workshop zu Diversität bei der ARD Programmwerkstatt 2021 formulierte ein Autor seine Bedenken folgendermaßen: »Was ist, wenn ich zum Beispiel einen Film über Kohlearbeiter im Ruhrgebiet mache? Das sind doch alles nur Männer? Da gab es keine Frauen unter Tage.« Abgesehen davon, dass in einem solchen Film eine wenig abgebildete Arbeiterschicht sichtbar werden würde, die für eine prekäre Lebenswirklichkeit in Deutschland steht, stellt sich auch die Frage, warum die Geschichten der Sekretärinnen in der Verwaltung und/oder der Partner*innen, die in aller Regel die familiäre Care-Arbeit leisten, außen vor bleiben sollte? Müssen Geschichten die einseitige Perspektive dieser spezifischen Gruppe erzählen? Autor*innen können am Ende eines Auseinandersetzungsprozesses mit dem Stoff zu der Entscheidung gelangen, dass diese Geschichte nur aus jener Subjektivität erzählt werden kann. Dies sollte jedoch ein gut begründetes Ergebnis dieser Selbstbefragungen sein.
Einige deutsche Filmförderungen setzen inzwischen auf sogenannte Checklisten, die unter anderem die Besetzung des Teams hinsichtlich der Diversitätskriterien abfragen. Die diverse Besetzung der Teams ist dabei nicht zwingend, vielmehr soll dadurch ein Bewusstseinsprozess angestoßen werden. Während das im fiktionalen Bereich schon aufgrund der Größe der Filmteams leichter zu realisieren scheint, argumentieren manche Dokumentarfilmschaffende damit, dass die Regiearbeit sich an ihren persönlichen Kriterien für eine bestmögliche Zusammenarbeit orientieren muss. Dabei stellt sich bei einer Selbstüberprüfung oft heraus, dass der Kreis der Kolleg*innen die eigene soziologische Zugehörigkeit widerspiegelt und wenig Diversität verspricht. Kolleg*innen mit Migrationsgeschichte, Behinderung und/oder nicht normativer sexueller Identität/Orientierung müssen aktiv gesucht werden. Dabei gibt es sie bereits. Helfen sie zu finden, können Menschen aus anderen Communities und Vereinigungen, die sich aktiv gegen Diskriminierungserfahrungen und für Teilhabe organisieren.In verschiedenen Gewerken haben sich auch bereits Frauen zusammengeschlossen und helfen sich mit eigenen Webauftritten zu mehr Präsenz.[21] Organisationen, wie z.B. die Neuen Deutschen Medienmacher*innen[22], verfügen über interne Mailinglisten, über die Team-Anfragen weitergeleitet werden können. In der Öffnung der Teams liegt die Chance, eigene Wahrnehmungen und Gewissheiten zu hinterfragen und multiperspektivisch zu arbeiten. Dies setzt jedoch die Offenheit voraus, dies als Chance zu begreifen und die eigene Komfortzone zu verlassen. Eigentlich ein Anspruch, der zu den Kernkompetenzen von Dokumentarist*innen gehören sollte.
Der Fertigungsprozess eines Films folgt zumeist einem relativ schematischen Ablauf, bei dem der/die Autor*in und die Produktion in der Zeitleiste am Anfang stehen. Doch warum wird die spezifische Expertise verschiedener Head Departments nicht bereits während der Reifung einer Idee genutzt? Dabei ist den Filmschaffenden bewusst, dass ein Dokumentarfilm mindestens dreimal entsteht, nämlich in der Vorproduktion, während des Drehs und am Ende erneut im Schnitt. Läge nicht eine Chance in der Einbeziehung der Kamera und des Schnitts schon in der Stoffentwicklung? Das Kamera-Auge sieht anders und auch die Montage könnte ihre spezifischen Bedarfe, Erfahrungen und Ideen bereits in der Stoffentwicklung einfließen lassen. Handelt es sich zudem um ein nach Vielfaltskriterien[23] besetztes Team, kann auch dies dazu beitragen, multiperspektivisch zu erzählen.
Ein Mehr an Augenhöhe trägt zu vielfältigen Erzählperspektiven und Darstellungsformen bei. Die Methodik des aktiven Zuhörens unterstützt die Zusammenarbeit und Verhandlungsprozesse mit Protagonist*innen. Doch wie können darüber hinaus Beziehungsasymmetrien überwunden werden? Aufgrund der verbreiteten Angst einer Einschränkung der eigenen künstlerischen Freiheit gilt unter Filmschaffenden zumeist das ungeschriebene Gesetz, dass Protagonist*innen einen Film, wenn überhaupt, erst nach seiner Endfertigung zu Gesicht bekommen. Bei investigativen journalistischen Stoffen, die gesellschaftliche Missstände aufdecken wollen, mag es gute Gründe dafür geben. Doch gilt das Gleiche auch für sämtliche künstlerischen Dokumentarfilme oder dokumentarischen TV-Formate?
Sich auf einen aktiven Findungsprozess mit Protagonist*innen einzulassen, bedeutet nicht unbedingt, dass die Regie lediglich den Interessen der Protagonist*innen dient. Natürlich unterscheiden sich Vorkenntnisse und Sichtweisen sowohl auf die zu erzählende Geschichte, als auch auf die Herstellung des Films. Die aktive Einbeziehung der Protagonist*innen in den Verhandlungsprozess ermöglicht eine Vertiefung der Erzählung, die sich klischeehaften Darstellungen versperrt. Die Regie kann sich davon überraschen lassen, wie weit sich Abgebildete auf die Darstellung der Filmschaffenden einlassen, insoweit das Vertrauensverhältnis zueinander stimmt.[24]
Sie setzen ein hohes Maß an Bereitschaft voraus, sich auf den Austausch mit dem/der Kolleg*in einzulassen und bei divergierenden Meinungen gemeinsam Lösungen zu finden. Dabei sind verschiedene Modelle denkbar. Regie-Tandems können sich zum Beispiel Drehtage, thematische Bereiche und die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Protagonist*innen aufteilen. Sie können verschiedene Schwerpunkte setzen und auch hier von den unterschiedlichen Erfahrungen profitieren. Intersektionale Zusammenarbeit in der Regie eröffnet darüber hinaus bereits in der Produktionsphase einen Raum für neue Erfahrungen und Perspektiven außerhalb der jeweiligen Lebensrealität, was wiederum die Möglichkeit schafft, eine breitere Zielgruppe zu erreichen. Tatsächlich gestalten sich Regie-Tandems nicht immer reibungsfrei. Sollen sie gleichberechtigt sein, so zeigt sich hier die soziale Kompetenz und Bereitschaft, die eigene künstlerische Vision nicht über alle anderen zu stellen. Möglich sind jedoch auch Ko-Regieformen, die sich auf eine klare Aufgabenteilung einigen und die letzte Entscheidung einer Person überlassen. Die Grenzen zwischen den Modellen sind fließend.
Inzwischen wächst bei vielen Dokumentarfilmschaffenden der Wunsch nach mehr Selbstreflektion und Weiterbildungen zum Thema Vielfalt. Fortbildungen, oftmals von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, die sich lange Zeit ehrenamtlich für mehr Teilhabe engagierten, werden zunehmend angeboten. Mit unterschiedlichen Methoden, wie zum Beispiel selbstreflexiven Übungen, Theorieinput, moderierten Diskussionen und Beratungen können sich Dokumentarfilmschaffende zu den verschiedenen gesellschaftlichen Vielfaltsdimensionen weiterbilden und eigene Sensibilisierungsprozesse einleiten.
Einige Interessenvertretungen, die sich im Bereich der Vielfaltsdimensionen engagieren, verfügen inzwischen über Expert*innen, die ihre Qualifikationen auch Filmschaffenden anbieten. Neben Beratungsgesprächen, die u.a. für Recherchen von hohem Wert sind, gehören dazu auch Angebote wie »Sensitivity reading«. Unter ersterem wird das »Gegenlesen bei sensiblen Themen« verstanden. Dieses wird zum Beispiel von den »Sozialheld*innen«[26] angeboten, einer Organisation, die sich für Rechte von Menschen mit Behinderung einsetzt.
Filmschaffende müssen sich die Frage stellen, wessen Perspektive für welche Zielgruppe präsentiert wird. Inwiefern spielen die eigenen Blicke und Bilder auf den/die Protagonist*in und/oder deren gesellschaftliche Funktion eine Rolle? Wer oder was wird von wem repräsentiert? Inwiefern wirkt die eigene Sozialisation und fließen eigene Privilegien in die filmische Repräsentanz des/der Abgebildeten mit ein? Sind sich die Autor*innen ihrer Privilegien bewusst und thematisieren gegebenenfalls auch ihre eigene Rolle im Schaffensprozess?
In der Produktion laufen letztlich alle Bemühungen um Vielfalt in dokumentarischen Formaten zusammen. Einerseits können hier konkrete Akzente gesetzt werden, andererseits muss schon bei der ersten Kalkulation das Thema Vielfalt einbezogen werden. Wer hier mit gutem Beispiel vorangehen und grundsätzlich mehr Diversität erreichen möchte, kann für die eigene Firma eine Strategie entwickeln, die mit konkreten Zielsetzungen arbeitet und einen Verhaltenskodex[27] einführen.
Während Diversity auch einen monetären Mehrwert schafft[28], muss jedoch zuerst einmal Geld dafür bereitgestellt werden. Welche Posten dies genau umfasst, wird im Folgenden beispielhaft diskutiert. An der Schnittstelle Produktion und Auftraggeber*in bzw. Finanzierer*in (in erster Linie Fernsehanstalten und Filmförderungen) muss Einigkeit darüber herrschen, dass Vielfalt gewollt ist. Dann können Produktionen die Projekte von Anfang an auch unter diesem Aspekt entwickeln. Die Möglichkeiten sind vielseitig. Angefangen bei der Themensuche bis hin zur Zusammenstellung der Protagonist*innen gibt es schon vor der Einreichung eines Exposés verschiedene Herangehensweisen. Während beispielsweise bei Themen rund um Verbrechen und Strafvollzug überproportional häufig Menschen mit Migrationshintergrund porträtiert werden, kommen in Dokumentationen zum Thema Kinderwunsch entweder hauptsächlich weiße Heteropaare aus der Mittelschicht oder nur der Teilaspekt queere Paare/Regenbogenfamilien vor. Dass Kinderwunsch ein universelles Thema ist, das sich durch alle Einkommensschichten, Genderidentitäten und ethnischen Herkünfte zieht, auch Menschen mit Behinderung betrifft, wird dabei gerne übersehen. Hat die Produktion einen Film mit drei Protagonist*innen geplant, könnten an dieser Stelle drei unterschiedliche statt drei möglichst ähnliche Konstellationen besetzt werden.
Während dies anfangs möglicherweise zusätzliche Ressourcen benötigt, um Kontakte in die entsprechenden Netzwerke aufzubauen, ist es kein grundlegendes Problem, Protagonist*innen mit unterschiedlichen Diversitätsmerkmalen zu finden. Eine Produktion erleichtert sich diesen Prozess jedoch schon dadurch deutlich, wenn das eigene Team entsprechend divers aufgestellt ist. Neben den oben bereits erwähnten Fort‑ und Weiterbildungen von Personal im eigenen Betrieb kann auch die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen unter Berücksichtigung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) erfolgen. Ziel sollte die Zusammenstellung eines möglichst diversen Teams sein und nicht die notgedrungene Erfüllung von Fördervorgaben.
Ein Problem, das Produzent*innen stets im Auge behalten sollten, ist die Unterlaufung von offensichtlicher Diversität. Aus den betreffenden Communities gibt es Rückmeldungen[29], dass gerne der oder die Quoten*Diverse ins Team geholt wird, nicht selten gegen den Widerstand eines einzelnen Teammitglieds. In der Folge wird der/die Quoten*Diverse dann unter fadenscheinigen Gründen abserviert. Auch dies macht deutlich, dass es nicht um die Besetzung einzelner Positionen oder die Erfüllung von Quoten, sondern um eine Frage der Haltung geht. Entscheider*innen haben hier Vorbildfunktion. Folgende Rollen kommen insbesondere in Frage, Vielfalt in der Produktion von dokumentarischen Formaten zu unterstützen: Produzent*in – zum Beispiel durch eine/n Koproduzent*in, die sich in ihren Vielfaltsdimensionen vom Hauptproduzenten unterscheidet. Genauso wichtig können in diesem Zusammenhang sein Producer*in; Autor*in – Koautor*in, Regisseur*in – Koregisseur*in.
Freie Produzierende, die gerne in bereits eingespielten Teams arbeiten und die sich durch Anregungen der Filmförderungen gegängelt fühlen, können sich mittelfristig umorientieren und neue Talente mit Vielfaltsdimensionen langsam in bestehende Teams integrieren. Hier geht es nicht um den radikalen und sofortigen Umbau bewährter Strukturen, sondern um den Gewinn an Erfahrung und Hintergrund vor und hinter der Kamera, der dokumentarischen Filmen jeglicher Art auf lange Sicht zu Gute kommt.
Sind Thema, Protagonist*innen und Team gefunden, muss das Engagement der Produktion keineswegs beendet sein. Im Grunde genommen geht es dann erst richtig los. Anders als in den herkömmlichen hierarchischen Strukturen kann nun das Miteinander gestaltet werden. Eine flache Organisation bei maximaler Transparenz sowie klare Absprachen bezüglich Verantwortungen helfen, gemeinsam Entscheidung abzuwägen und zu treffen. Dabei geht es nicht darum, wer welchen Bleistift kauft oder welche Schrift in einer Präsentation verwendet wird. Im Zentrum steht vielmehr das gemeinsame Finden einer Haltung unter Einbeziehung verschiedener Sichtweisen auf ein Thema. Dabei kann es um die Storyline ebenso gehen wie einen Kamerawinkel, der günstig oder ungünstig für eine/n Protagonist*in ist.
Während sich in der Regel die Kameraperson mit der Regie abspricht und so die/der Protagonist*in zum Objekt gemacht wird, könnte er/sie zum Beispiel nach einer Probeaufnahme befragt werden, mit welcher Kameraeinstellung er/sie sich wohlfühlt. Spricht regieseitig etwas gegen die Wahrnehmung der Protagonist*innen, kann gemeinsam weiter überlegt werden, ob zum Beispiel durch Licht oder eine räumliche Veränderung ein Kompromiss gefunden werden kann. Außerdem sollte bereits im Vorfeld überlegt werden, wie mit Konflikten umgegangen werden soll, denn diese sind Teil des Prozesses und können selten komplett vermieden werden.
Auch in den Verträgen mit Protagonist*innen und dem Team sollte das Thema Vielfalt etabliert werden, um sicherzustellen, dass mit Vertragsunterzeichnung alle Beteiligten respektiert werden. Dies mag manchen Produzent*innen unnötig erscheinen, aber obwohl die Gleichstellung der Frau bereits seit Jahrzehnten gang und gäbe ist, gibt es auch in der Dokubranche bis heute Übergriffe, Herabwürdigungen und sexuelle Belästigung. Um Rassismus, Ableismus[30], Klassismus und anderen Formen der Diskriminierung wirksam entgegenzutreten, sollen alle zur Verfügung stehenden Instrumente genutzt werden – dies gilt auch in der Kommunikation im Alltag und in Verträgen. Außerdem können sogenannte »Access Riders«, also Zusatzvereinbarungen, getroffen werden, die spezifische Bedürfnisse benennen und wie ihnen Rechnung getragen wird, um einen gleichberechtigten Zugang zur Arbeit zu gewährleisten. Auch hier ist die Haltung wichtig. Es geht nicht um »Extrawürste« für Diven, sondern darum, Menschen mit besonderen Bedarfen die Mitarbeit an Dokumentarfilmprojekten überhaupt erst zu ermöglichen.
Im Produktions- bzw. Firmenmanagement können Listen[31] geführt werden, die bei Bedarf helfen, rasch auf eine Vielzahl unterschiedlicher Personenkreise zurückgreifen zu können. Der Aufbau einer solchen Liste kann sich aus Branchentreffen ebenso speisen wie aus Initiativbewerbungen, für die es zum Zeitpunkt der Bewerbung keine Beschäftigungsmöglichkeit gab.
Zu den Produktionskosten sollten in der Kalkulation Posten zum Beispiel für Barrierefreiheit, Sensitivity Reading, Assistenz/en, sowie ein höherer Zeitaufwand für Producer*in, Autor*in und Regisseur*in eingeplant werden. Dies ist auch wichtig vis-à-vis den Finanzierer*innen und Auftraggeber*innen, die sich zwar gerne mit der Vielfalt schmücken, aber die Kosten nicht ungefragt tragen. Wie eingangs geschrieben, bedarf es einer gemeinsamen Anstrengung aller Akteur*innen, um damit erfolgreich zu sein.
Vielfalt ist eine gesellschaftliche Realität. Viel zu lange wurde sie übersehen und insbesondere in der deutschen Dokumentarfilmlandschaft höchstens als ein Thema verstanden, worüber Filme gemacht wurden. Ein klares Ziel von uns Filmschaffenden sollte aber sein, Vielfalt als einen selbstverständlichen Teil unserer Gesamtgesellschaft zu verstehen und danach zu handeln: in unseren Unternehmen, in unseren Projekten und in der Zusammenstellung unserer Teams.
Dr. Sunju Choi ist Medienaktivistin und Diversitätsberaterin. Als Vorstandsmitglied von Vielfalt im Film, e.V., neue deutsche organisationen und korientation engagiert sie sich für mehr Vielfalt und Teilhabegerechtigkeit in Kultur und Politik.
Susanne Dzeik arbeitet als Kamerafrau, Regisseurin, Produzentin. Als Politologin, Vorsitzende des docfilmpool und Vorstand von docfilm42 e.V. verfügt sie über fundierte medienpolitische Erfahrungen.
Sonya Winterberg ist Medienwissenschaftlerin (MA), Regisseurin und Publizistin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Krieg, Trauma, soziale Gerechtigkeit und Integration.
Agneskirchner, Alice; Langer, Jörg: »Untersuchung der AG DOK zur beruflichen Situation von Dokumentarfilmautoren und Dokumentarfilmregisseuren (m/f)« (2012)
Ahyoud, Nasiha; Aikins, Joshua Kwesi; Bartsch, Samera; Bechert, Naomi; Gyamerah, Daniel; Wagner, Lucienne (2018): Wer nicht gezählt wird, zählt nicht. Antidiskriminierungs‑ und Gleichstellungsdaten in der Einwanderungsgesellschaft – eine anwendungsorientierte Einführung. In: Vielfalt entscheidet – Diversity in Leadership. Citizens For Europe (Hg.), Berlin.
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. Mai 2022 (BGBl. I S. 768) geändert wurde.
Charta der Vielfalt. Für Diversity in der Arbeitswelt: https://www.charta-der-vielfalt.de/ueber-uns/ueber-die-initiative/die-urkunde-im-wortlaut/
Dhami, Amir: The Capitalization of Diversity within the Film Industry in: Sociology Mind Vol.11 No.3, July 27, 2021
Gächter, A. (2022). Diversity Management als Anti-Diskriminierungsstrategie. In: Scherr, A., El-Mafaalani, A., Reinhardt, A.C. (eds) Handbuch Diskriminierung. Springer Reference Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden.
Hißnauer, Christian: »Fernsehdokumentarismus.« Konstanz: UVK 2011
Jantschek, Ole (2019): Geschützte Räume, kontroverse Räume – Politische Bildung in einer Gesellschaft der Diversität. In: Journal für politische Bildung 3/2019, S. 34-38 sowie Rudolf, Beate (2017): Teilhabe als Menschenrecht – eine grundlegende Betrachtung. In: Diehl, Elke (Hg.): Teilhabe für alle?!, Lebensrealitäten zwischen, Diskriminierung und Partizipation. Bonn. Bundeszentrale politische Bildung/bpb. Schriftenreihe (bD. 10155), S. 3
Neue Deutsche Medienmacher*innen (2022): Welche Gesellschaft soll das abbilden? Mangelnde Vielfalt in Rundfunkräten und was dagegen hilft«, Studie der Neuen Deutschen Medienmacher*innen: https://mediendiversitaet.de/fileadmin/user_upload/20220803_Studie_Rundfunkraete_NdM.pdf
Prommer, E. (2015): Qualitative Fernsehforschung. In: Averbeck-Lietz, Stefanie/Meyen, Michael (Hg.): Handbuch nichtstandardisierte Methoden in der Kommunikationswissenschaft. Wiesbaden: Springer VS.
Teilhaben, Teilsein. Diskriminierungskritische Perspektiven auf Teilhabe und Repräsentanz in der postmigrantischen Gesellschaft. neue deutsche organisationen – das postmigrantische netzwerk e.V. (Hg.), Berlin.
[1] Hißnauer (2011) beschreibt vier »etablierte Formen des Fernsehdokumentarismus«: Dokumentation, Feature, Reportage und Dokumentarfilm. Im Zuge der Digitalisierung, aber auch der Globalisierung, entstehen jedoch fortlaufend neue, auch hybride, Formate.
[2] Während der Begriff der Inklusion häufig auf Menschen mit Behinderung angewendet wird, gibt es in einer inklusiven Gesellschaft keine definierte Normalität, die jedes Mitglied dieser Gesellschaft anzustreben oder zu erfüllen hat. Normal ist allein die Tatsache, dass Unterschiede vorhanden sind. Diese Unterschiede werden als Bereicherung aufgefasst und haben keine Auswirkungen auf das selbstverständliche Recht der Individuen auf Teilhabe. Aufgabe der Gesellschaft ist es, in allen Lebensbereichen Strukturen zu schaffen, die es den Mitgliedern dieser Gesellschaft ermöglichen, sich darin barrierefrei zu bewegen.
[3] Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. Mai 2022 (BGBl. I S. 768) geändert wurde.
[4] Darunter fallen u.a. BBC 50/50 Challenge, Charta der Vielfalt, Abschaffung von Zugangsbarrieren, Diversitätsbeauftragte und Weiterbildungen.
[5] »Welche Gesellschaft soll das abbilden?«, Studie der Neuen Deutschen Medienmacher*innen (2022)
[6] Agneskirchner, Alice; Langer, Jörg: »Untersuchung der AG DOK zur beruflichen Situation von Dokumentarfilmautoren und Dokumentarfilmregisseuren (m/f)« (2012)
[7] Vgl. Jantschek (2019): 34-38 sowie Rudolf (2017):3
[8] Vgl. Ahyoud et al. (2018).
[9] https://vielfaltimfilm.de/ergebnisse/ (abgerufen am 17.10.2022)
[10] Tokenismus bezeichnet kritisch eine Praxis, bei der nur symbolische Anstrengungen unternommen werden, um Mitglieder einer gesellschaftlich marginalisierten Gruppe in soziopolitischer Hinsicht gleichzustellen.
[11] Hierzu gibt es nur wenig Erhebungen. Professor Elizabeth Prommer vom Institut für Medienforschung der Universität Rostock leitete hierfür eine Fortschrittsstudie zur audiovisuellen Diversität, die Sichtbarkeit und Darstellung der Vielfaltsdimensionen Migrationshintergrund, ethnische Zuschreibung*, sexuelle Orientierung und Behinderung in deutschen Kinofilmen von 2017 bis 2020 untersuchte. https://malisastiftung.org/frauen-auf-leinwand-ergebnisse-fortschrittsstudie/ (abgerufen am 22.10.2022)
[12] Vgl. Prommer (2015).
[13] Women in Film and Television (WIFT) mit Unterstützung von Telefilm Canada arbeitet seit geraumer Zeit erfolgreich mit dem Mentoring Modell zur gezielten Förderung von BIPoC-Filmemacher*innen.
[14] Vergl. S. 38 in: Teilhaben, Teilsein. Diskriminierungskritische Perspektiven auf Teilhabe und Repräsentanz in der postmigrantischen Gesellschaft. neue deutsche organisationen – das postmigrantische netzwerk e.V. (Hg.), Berlin.
[15] Mit Ausnahme von Bayern und Sachsen gibt es in allen Bundesländern einen gesetzlichen Anspruch auf Bildungsurlaub für Arbeitnehmer*innen in Höhe von fünf Tagen pro Kalenderjahr. Dies ermöglicht auch den Besuch von Fort- und Weiterbildungen externer Institutionen.
[16] Vergl. mit der Untersuchung der Neuen deutschen Medienmacher*innen über den Mangel an Vielfalt in Rundfunkräten des ö/r Rundfunks: »Welche Gesellschaft soll das abbilden?«
[17] https://bechdeltest.com/ (abgerufen am 17.10.2022)
[18] Einen Korridor in diese Welt bahnt der umkämpfte Zugang zu den Studienplätzen der Filmhochschulen. Wer ihn erfolgreich durchschreitet, hat das Gefühl dazu zu gehören. Elite- und Konkurrenzdenken, sowie der Zwang permanenter, performativer Selbstvermarktung gehören zum Markenkern einer erfolgreichen Karriere, vor allem nach dem Studium, wenn die Absolvent*innen auf den freien Markt stoßen.
[19] https://www.nadir.org/nadir/initiativ/videoactivism/wasist.html (aktuell zuletzt am 30.06. 2023).
[20] https://www.nadir.org/nadir/initiativ/videoactivism/teksten/minuten.pdf (aktuell zuletzt am 30.06.2023).
[21] siehe z.B. https://cinematographinnen.net (abgerufen am 22.10.2022)
[22] https://neuemedienmacher.de (abgerufen am 22.10.2022)
[23] Während es keinen allgemeingültigen Katalog für die Zusammenstellung eines solchen Teams gibt, kann hier auf die Erfahrung von beratenden Kolleg*innen zurückgegriffen werden, die diesbezüglich Hinweise geben können. Ähnlich wie es im fiktionalen Bereich »Intimacy Coordinators« gibt, könnte hier ein neues Berufsbild »Diversity Consultants« entstehen.
[24] Beispielhaft für solche Aushandlungsprozesse sind die Filme der Ethnologin und Regisseurin Mirjam Leuze. Für ihren Film »The Whale and the Raven« dauerten die Verhandlungen mit der Gitga’at First Nation in British Columbia (Kanada) rund zwei Jahre.
[25] Bei einem »Sensitivity reading« wird ein Script auf falsche oder missverständliche Darstellungen, Stereotypen, Vorurteile und mangelndes Verständnis gegengelesen und Vorschläge zu deren Behebung gemacht.
[26] https://sozialhelden.de/; https://leidmedien.de/
[27] Der Verhaltenskodex bietet die Möglichkeit, klare und dadurch durchsetzbare Regeln zu etablieren, für deren Einhaltung im Alltag alle Ebenen eines Unternehmens stehen. Es kann dadurch einmal mehr deutlich gemacht werden, dass es ein Grundrecht ist, nicht diskriminiert zu werden.
[28] Vgl. Dhami: 2021
[29] Vgl. Gächter, A. (2022). Diversity Management als Anti-Diskriminierungsstrategie. In: Scherr, A., El-Mafaalani, A., Reinhardt, A.C. (eds) Handbuch Diskriminierung. Springer Reference Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden.
[30] Diskriminierung wegen einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung oder aufgrund von Lernschwierigkeiten. Siehe auch Buchner et al. 2015.
[31] Unter Berücksichtigung der geltenden Datenschutzbestimmungen.