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Die DEUTSCHE AKADEMIE FÜR FERNSEHEN soll in der öffentlichen Diskussion über die Medien und ihre Inhalte zu einer Stimme der Fernsehschaffenden werden und das Bewusstsein für die kreativen und künstlerischen Leistungen derjenigen, die die Fernsehprogramme gestalten, fördern und stärken.

Zweck laut Satzung der DEUTSCHEN AKADEMIE FÜR FERNSEHEN ist die Entwicklung des deutschen Fernsehens als wesentlichen Bestandteil der deutschen Kultur sowie der deutschen Kulturwirtschaft zu fördern und deren Vielfalt zu erhalten, das Gespräch und den Austausch von Ideen und Erfahrungen zwischen den deutschen Fernsehschaffenden insbesondere auch zwischen freiberuflichen und in Sendern festangestellten anzuregen, zu stärken und zu pflegen, den Diskurs zu inhaltlichen und wirtschaftlichen Aspekten des deutschen Fernsehens zu führen.

Dazu werden öffentliche Veranstaltungen zu kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Themen im audiovisuellen Bereich organisiert, Weiterbildungsveranstaltungen für im audiovisuellen Bereich tätige Personen unter Leitung von Mitgliedern des Vereins oder externen Experten durchgeführt, und die Verleihung einer Fernsehauszeichnung, gegebenenfalls mit noch zu bestimmenden Partnern, vorbereitet und durchgeführt.

Die Akademie hat ihren Sitz in Berlin und München. Sie wird allen kreativen Fernsehschaffenden mit langjähriger Erfahrung und besonderer Leistung bei der Herstellung deutscher Fernsehwerke aus den Bereichen Fiction, Non-Fiction, Unterhaltung und Journalismus offen stehen.
Ab 2024 ist der normale Beitragssatz € 180, in Ausnahmefällen ist er reduziert.

Bitte beachten Sie unsere angepassten Mitgliedsbeiträge ab Januar 2024.

Diese entnehmen Sie der aktualisierten Beitragssatzung unter https://daff.tv/wp-content/uploads/2023/09/Beitragsanpassung_Anlage3_MVDAfF_2023_final.pdf

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Dieter Wiedemann: Wie geht es in Zukunft mit dem Kinderfernsehen weiter?

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Dieter Wiedemann: Wie geht es in Zukunft mit dem Kinderfernsehen weiter?

Wie geht es in Zukunft mit dem Kinderfernsehen weiter?

Können innovative Finanzierungs‑, Produktions‑, und Evaluierungsmodelle für mehr Vielfalt und Qualität sorgen?

Dieter Wiedemann

Einleitung

Ich beginne diesen Beitrag mit einer steilen These: Audiovisuelle Kindermedien sollten m.E. aus der Finanzierung des ö/r Rundfunk herausgelöst werden. Ich wünsche mir stattdessen eine staatliche Finanzierung für gesellschaftlich relevante, Kindermedien, weil diese in Gegenwart und Zukunft einen Bildungsauftrag erfüllen (müssen), der durchaus mit dem klassischem Bildungsauftrag der traditionellen Bildungsangebote (Kita, Schule etc.) gleichgesetzt werden kann! Unsere Gesellschaft hat eine nicht delegierbare Verantwortung für die Bildung und Erziehung der Kinder und die betrifft neben Eltern und Schulen auch und insbesondere die derzeit operierenden Bildungs‑ und natürlich auch Unterhaltungsmedien für Kinder.

Mein Vorschlag berührt zwei – quasi sakrale – Grundbefindlichkeiten der BRD: Länderhoheit über Bildung und Medien einerseits. Und das Gebot der Staatsferne der ö/r Medien andererseits!

Es ist in den globalen, von Netzwerken bestimmten Lebenswelten nicht mehr demokratisch vermittelbar, dass Bildung und Medien in der BRD von länderspezifischen Partikularinteressen bestimmt werden. Wir brauchen vielmehr national verbindliche Bildungsinhalte. Seit vielen Jahren wird in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes zur Rundfunkfreiheit von einer »dienenden Funktion gegenüber der individuellen und öffentlichen Meinungsbildung« gesprochen. Diese »dienende Funktion« wird im Grundgesetz der BRD aber auch von allen Verfassungsorganen gefordert. Wobei meine Frage bleibt: warum vertrauen wir eigentlich nicht steuerfinanzierten Kindermedien, die von der Bevölkerung und nicht von irgendwelchen Gremien (Parteien, Gewerkschaften, Gemeinschaften etc.) gefördert und kontrolliert werden? Warum können also nicht Fernseh‑, Hörfunk‑ und Onlineprogramme für Kinder öffentlich ausgeschrieben und von einem weder partei- noch standortpolitisch besetzten Expert*innengremium entschieden werden?

Unser Staat finanziert z.B. die Schulbildung mit jährlich 176 MRD €, ermöglicht aber auch private Schulgeldzahlungen. Warum sollte das also in einer unumstritten wichtigen Bildungsinstitution, nämlich den Kindermedien, nicht auch möglich sein? Immerhin werden die verbindlichen Schulbücher in den verschiedenen Bundesländern ausschließlich von privaten Verlagen, nach Maßgaben der verschiedenen Landesministerien, produziert!

Ich will meine Überlegungen noch einmal präzisieren: Die Kinder, die in unserem Land leben, sind das Wichtigste, was wir haben! Wir können ihnen nicht, wie Herbert Grönemeyer ironisch vor Jahrzehnten forderte, die Macht überlassen.[1] Wir müssen sie aber endlich ernst nehmen als eine Generation mit eigenen Wünschen und Hoffnungen in Sachen Bildung und Medien, aber auch in Sachen individueller Lebensentwürfe. Dafür benötigt unsere Gesellschaft flexiblere Finanzierungsmodelle als die des ö/r Rundfunks. Sie braucht aber auch und insbesondere eine gesellschaftliche Diskussion darüber, wie wichtig uns Bildung und Erziehung junger Menschen sind. Und zwar in intakten Schulsystemen gleichermaßen wie in Mediensystemen, die die Entwicklung fördern sollen. Und daher wäre das im Zuge der derzeitigen Reformdebatte aufgeworfene mögliche Ende des KiKA als lineares TV-Programm ein fatales Signal. Vielmehr sind unbedingt auch weiterhin lineare Programmangebote für die unter 14-jährigen notwendig, wie ich weiter unten ausführen werde.

1. KIKA in Gefahr? Was steht in den Medienstaatsverträgen?

Im Oktober 2022 unterzeichneten die Ministerpräsident*innen der Bundesländer den dritten Medienänderungsstaatsvertrag, in dem die Karten für den ö/r Rundfunk neu gemischt wurden. Auf einmal wurden die Daseinsberechtigungen bestimmter ö/r Fernsehangebote, wie z.B. der KiKA als lineares Angebot, in Frage gestellt. Es gab damals – und übrigens bis heute, auch bei den Feierlichkeiten zum 25. Geburtstag des KiKA nicht – kein »the lost Generation for KiKA« und auch keine Proteste der Verbände zum Schutze von Kindern. Diese fehlenden Reaktionen sind erstaunlich und deprimierend zugleich: Während die scheinbaren Lieblingsangebote für das deutsche Feuilleton (arte und 3SAT) des ö/r Fernsehens eine Bestandsgarantie bekamen – die der Autor durchaus begrüßt – und auch die dritten Programme zu keinerlei Angebotsüberprüfungen aufgefordert wurden (was ich weniger begrüßenswert finde), wurde diese Bestandsgarantie dem KiKA verweigert. Sicher könnte jetzt darauf verwiesen werden, dass es ja durchaus auch erfolgreiche private lineare Angebote für Kinder gibt, z.B. Super RTL/Toggo, Disney Chanel oder Nick, die sich einer großen Beliebtheit bei den 3- bis 13-jährigen erfreuen! Die Angebote der Privatsender sind auch bei Erwachsenen sehr beliebt, was in diesem Beitrag aber nur insofern eine Rolle spielen sollte, dass die Mediennutzung der Erwachsenen (Eltern) wahrscheinlich Auswirkungen auf das Sehverhalten der Kinder hat. Aber zurück zum KiKA: Der Umstand, dass die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern an den durch die AV-Medien vermittelten ö/r Angeboten als linear ausgestrahltes Programm eventuell bald nicht mehr möglich sein könnte, wurde von Politik und Gesellschaft weitgehend ausgeblendet! Der in den gesellschafts‑ und medienpolitischen Begründungen für diese Abkehr von den linearen zu den nonlinearen Angeboten für die jungen Generationen immer wieder gebrachte Hinweis auf deren veränderten Nutzungsgewohnheiten muss zweifellos berücksichtigt werden! Leider wird hierbei nicht bedacht, dass die Mediennutzung im Netz in der Regel unter anderen Bedingungen stattfindet und damit auch andere Nutzungsweisen prägen kann!

2. Die Privatsender liegen vorne!

Der Anteil der ö/r TV-Angebote lag laut KIM-Studie[2] in der TV-Nutzung bei den 3- bis 13-jährigen im Jahr 2020 bei 25 %. Der KiKA liegt bei 13,2 % und ist damit knapp vor Super RTL mit 13 % der meist frequentierte Sender bei Kindern. Für 16,4 % konnte keine Nutzung der in der KIM-Studie angeführten deutschsprachigen TV-Angebote nachgewiesen werden. Das heißt 53,6 % der 3- bis 13jährigen bevorzugen private deutschsprachige TV-Angebote! Während bei den 3- bis 5jährigen immerhin noch knapp ein Drittel (32,7 %) von den ö/r Programmen erreicht werden, sind es bei 12- bis 13jährigen nur noch 21,1 %. Befragt nach der Beliebtheit von Sendern liegt bei den 3 bis 13‑jährigen der KiKA mit 29 % Nennungen vor Super RTL/Toggo mit 22 %. Dann folgen mit RTL (10 %), ProSieben (7 %) und Das Erste (2 %). Alles also Anbieter, die keine ausgesprochenen Kindersender sind. In der obersten Altersgruppe bei den 12 – 13jährigen dominieren bei der Beliebtheit bereits eindeutig RTL (19 %) und ProSieben (18 %), Das Erste kommt auf 5 %. Die Tendenz zur Bevorzugung privater Fernsehangebote durch Kinder zeigt sich also auch hier.

Um das noch einmal zusammenzufassen: Die in diesen Studien untersuchten Fernsehangebote erreichen im Durchschnitt am Abend (ab 20.00 Uhr) etwa 12,5 % der 3- bis 13-jährigen, also zu einem Zeitpunkt, der doch etwas jenseits der ö/r Kinderangebote liegt. In der nutzungsintensivsten Primetime (19.00 – 21.00)[3] sahen im Jahr 2020 16 % der 3- bis13-jährigen den KiKA (2012 waren es noch 21,6 %) und 13,8 % weitere ö/r Angebote. 57,3 % der von den Kindern in der Primetime genutzten Fernsehangebote entfielen aber auf private Anbieter. Eine Differenzierung nach Altersgruppen bringt – dieses mal wieder bezogen auf die gesamte Sendezeit eines Tages – folgende interessante Ergebnisse:

  • bei den 3- bis 5jährigen dominieren die beiden »Kinderangebote«: KiKA mit 22,2 % Marktanteil und Super RTL mit 17,0 %. Insgesamt erreichen die ö/r Angebote 32,7 % dieser Altersgruppe und die privaten Anbieter 51,6 %
    bei den 12- bis 13jährigen erreichen die ö/r Anbieter 20,1 % dieser Altersgruppe, in erster Linie durch das Erste (7,1 %) und die privaten Anbieter 58,4 %[4]
  • Eine Auswertung der Angebote von ARD (nur ARD und dritte Programme) und ZDF (nur ZDF) im Zeitraum vom 16.1. bis 23.1. 2023 für die Zeit von 17.00 bis 23.00 zeigt, dass dies auch die Hauptsendezeiten für regionale Magazine in den dritten Programmen bzw. für Dokumentationen, Reportagen und Magazine sind
  • für diesen Zeitraum konnte ich für die gewählte Zeitspanne aber auch 22 Krimiangebote, 12 Tiersendungen, 18mal »Brisant« und das ZDF-Adäquat, sowie 9 Rateshows und 7 Shows zählen.
  • Bemerkenswert wie gleichermaßen überdenkenswert: der RBB und der MDR bieten zeitversetzt noch den Abendgruß des Sandmännchens an!
  • In diesem Zeitraum haben ARD und ZDF auch ihre wichtigsten Informationssendungen platziert, über deren Nutzung von Kindern es leider kaum Ergebnisse gibt.

Auf die Angebote der bei den älteren Kindern bereits dominierenden TV-Angebote der privaten Anbieter will ich hier nicht weiter eingehen, nur ein Hinweis: auch deren Informationssendungen sind in dem betrachteten Zeitraum platziert. Eine Erklärung für diese Ergebnisse könnten vielleicht die Erziehungs‑ und Fernsehgewohnheiten der Eltern sein.

3. Das Internet als MegaProblem schon bei Kindern?

Die KIM-Studie zeigt, ebenfalls mit Ergebnissen aus dem Jahr 2020[5], dass von den 12-13jährigen bereits 55 % ein selbst nutzbares Fernsehgerät, 73 % ein Smartphone und 47 % einen Internetzugang besitzen, d.h. diese älteren Kinder bzw. jungen Leute können relativ frei über ihren Medienzugang entscheiden. Aber: Immerhin können bereits 7 % der 6-7-Jährigen (nach Angaben der Haupterzieher*innen) ein Smartphone nutzen, 16 % ein Fernsehgerät und 5 % das Internet![6] Hier stellt sich natürlich die Frage nach einer frühkindlichen Medienerziehung, die wahrscheinlich derzeit weder von Eltern noch von staatlichen Bildungseinrichtungen geleistet werden kann! Es spielt also definitiv bereits bei vielen jüngeren Kindern die Internetnutzung eine wichtige Rolle: 2020 nutzten 58 % der Kinder das Netz mindestens einmal pro Woche (92 % der 12- bis 13-jährigen), 49 % sahen sich ebenso regelmäßig Videos im Netz, z.B. bei YouTube an. Dennoch ist das »Fernsehgerät nach wie vor zentral für die Bewegtbildnutzung! Während das Fernsehgerät bei allen Altersgruppen gleichermaßen an erster Stelle steht, werden zur Bewegtbildnutzung mit zunehmendem Alter der Kinder allerdings immer häufiger mobile Endgeräte relevant«[7] Die Ergebnisse der KIM-Studie lassen m.E. u.a. die folgende Hypothese zu: Kinder suchen im Netz nicht primär TV-Angebote, sondern nutzen das Netz primär als eine Art universelles Medium für audiovisuelle Angebote jeglicher Art und Form, wozu auch TV-Angebote zählen können!

Wenn man noch berücksichtigt, dass der Anteil der täglichen TV-Nutzerinnen unter den Kindern seit 1995 von 60 % auf 45,5 % und die tägliche Sehdauer von 95 Minuten (1995) auf 58 Minuten (2020) zurück gegangen ist, bei den über 14-jährigen der prozentuale Anteil der täglichen Nutzer*innen aber mit 72 % in diesem Zeitraum konstant geblieben und die tägliche Nutzungszeit von 186 Minuten auf 238 Minuten sogar deutlich erhöht hat, dann muss man wohl konstatieren, dass das – zumindest lineare – Fernsehen seine Funktion als ein Leitmedium für Kinder immer mehr verliert, diese Funktion als Leitmedium aber mit großer Wahrscheinlichkeit nicht von den nonlinearen Medien adäquat erfüllt werden kann. Wenn Leitmedien – und als solches versteht sich ja der KiKA – dazu einen besonders starken Einfluss auf die kindliche Meinungs­bildung haben können, dann stellen sich hier zumindest vier zu diskutierende Punkte:

  • Bieten die nonlinearen Medien eigentlich weitgehend stringente Meinungsbilder für Kinder an? Und was könnten stringente Meinungsbilder für Kinder überhaupt sein und wer entscheidet darüber? Nur die Programmverantwortlichen? Und wenn ja, was qualifiziert sie eigentlich dazu?
  • Inwieweit bestimmen die Zeitstrukturen der traditionellen Kindermedien das Verhältnis der Kinder zu Zeitstrukturen insgesamt? Die Zeitstrukturen des linearen Fernsehens – egal ob öffentlich-rechtlich oder privat – haben seit einigen Jahrzehnten die gelebten Zeitstrukturen der auch ganz jungen Bevölkerung mitgeprägt. Der Sendeschluss des KiKA, und vor ein paar Jahrzehnten vielleicht auch noch das Sandmännchen, sollen hier als Beispiele genannt werden.
  • Die Wünsche der ö/r Sender und die der politisch verantwortlichen Staatskanzleien in den Bundesländern beschwören zwar einerseits immer wieder den unersetzbaren Anteil dieser Medien zur Demokratieentwicklung und damit zum gesellschaftlichen Konsens in Deutschland. Gleichzeitig vernachlässigen sie aber, dass für die Nutzung von digitalen Angeboten andere Regeln der Kuratierung gelten, nämlich die der Algorithmen. Gleichzeitig könnten die digitalen Kinderangebote aber auch einen stärker individuell geprägten Zugang zu den Medien ermöglichen, um dadurch die deutlich gewachsene Vielfalt an Lebensentwürfen und ‑welten besser abbilden zu können. Das Kind und/oder seine Erziehungsberechtigten könnten stärker von ihren latenten oder manifesten Bedürfnissen bei der Selektion der Angebote profitieren und durch Algorithmen auch weiter davon bedürfnisgerecht versorgt werden.
  • Diese Überlegung provoziert wiederum Fragen nach der gesellschaftlichen Relevanz der sich immer weiter ausdifferenzierenden Bedürfnisse der aktuellen Generation unserer Kinder und deren Erziehungsberechtigter. Zugespitzter formuliert: Gibt es in den aktuellen Kindheiten so etwas wie »falsche« Bedürfnisse und Interessen, die durch digitale Angebote, wie z.B. TikTok verstärkt und damit zu »falschen« Handlungen führen können[8]? Und wie liesse sich dem begegnen?

 

4. Ein paar grundsätzliche Überlegungen zu Kindheit in der Gegenwart

Zunächst stellt sich die Frage, ob man in den gegenwärtigen sozial und medial immer diverseren Welten überhaupt noch von gesicherten Leitlinien – neben der Schule und anderen Ausbildungsangeboten – für Kinder ausgehen kann? Was könnte das heißen? Kindheiten sind heute von sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungen aber auch Zielvorstellungen betroffen. Von differenzierten Bildungs‑ und Erziehungsstrategien in den verschiedenen Bundesländern, von Kinderarmut einerseits und Problemen mit »Helikoptereltern« anderseits; von mangelhaften Investitionen in die Bildung bis zu den gesellschaftlichen Diskursen über »Gendersternchen« und »kulturellen Aneignungen« etc. Gleichzeitig wird Kindheit heute von so wenig gesellschaftlicher Fürsorge unterstützt, wie schon lange nicht. Der Deutsche Kinderschutzbund hat in seinem Jahresbericht 2021 u.a. auf die folgenden Probleme hingewiesen: ↡

  1. Kinder haben Armut nicht gewählt
  2. nach wie vor gilt jedes fünfte Kind in Deutschland als arm – das sind gut drei Millionen
  3. eine Grundgesetzänderung muss zu einer Verbesserung der Rechtsposition von Kindern in Deutschland beitragen
  4. Kinderrechte in der digitalen Welt müssen gestärkt werden[9].

Der Kinderschutzbund hat m.W. kaum Stellung genommen zur Bedeutung von Kindermedien und insbesondere des Kinderfernsehens und des Kinderfilms, aber war relativ konsequent zu Fragen der Medienerziehung. Und auch das Deutsche Kinderhilfswerk hat seine Schwerpunkte auf die Themen Kinderarmut, Kinderrechte, Beteiligung, Spiel und Bewegung, Kultur für Kinder und Medienkompetenz[10] gesetzt. Im Jahresbericht 2021 wird zwar auch hier die finanzielle Förderung von Projekten zur Medienkompetenz von Kindern ausgewiesen[11], eine Diskussion von medienpolitischen Entscheidungen, die unsere Kinder betreffen könnten, gibt es aber auch hier nicht!

5.Was sind eigentlich Medien für Kinder?

Vor 25 Jahren habe ich als Mitherausgeber der Publikation »Kinder an die Fernbedienung«[12] das folgende Vorwort (mit)verantwortet:

»Kinderfernsehen ist, wenn Kinder fernsehen. Dieses bereits geflügelte Wort des ›Erfinders‹ der Sendung mit der Maus, Gerd K. Müntefering, macht das ganze Dilemma des öffentlichen Diskurses über Kinder und Fernsehen deutlich. Einerseits gibt es speziell für Kinder hergestellte Sendungen und mit den Kinderkanälen gar spezielle Zielgruppensender (und Bücher, Hörfunksendungen, Theaterinszenierungen, Computerspiele etc., Anmerkung D.W.), andererseits zeigen die Quoten, dass sich Kinder häufig lieber sogenannte Erwachsenensendungen […] zuwenden«.[13]

Bemerkenswert ist, dass der Fernsehrat des ZDF vor 25 Jahren forderte, dass der Kinderkanal

»nur dann veranstaltet werden (kann), wenn der Finanzbedarf nicht aus dem laufenden Beitragsaufkommen gedeckt wird, sondern die Mittel durch einen zusätzlichen Beitragsanteil aufgebracht werden.«[14]

Ein Kinderprogramm im ö/r Fernsehen (im ö/r Hörfunk gibt es bis heute kein lineares Angebot ausschließlich für Kinder!) sollten also die Beitragszahler*innen extra finanzieren und durften das später auch noch für eine Vielzahl von Nachspielkanälen von ARD und ZDF tun. Wichtig für mich war damals die Frage, die leider in der Gegenwart immer noch gültig ist: Warum konnte die gesellschaftliche Öffentlichkeit als ein Ergebnis medialer Kommunikationsprozesse diese gegen ihre Kinder gerichteten Entscheidungen nicht verhindern? Warum wurde ein Kinderkanal offenkundig nicht als integraler Bestandteil des ö/r Funktionsauftrages begriffen, sondern musste nachträglich gesondert finanziert werden?

Der 25. Geburtstag des KiKA wurde im Krisenjahr 2022 ausgiebig zu Recht gefeiert. Die Intendantin des MDR, Karola Wille, formulierte in einem Pressegespräch am 13. Januar 2022:

»Der Gründungsgedanke 1997 war gemeinsam formulierter Wille, Kindern ö/r Programmangebot über ein lineares Angebot zugänglich zu machen. KiKA ist heute ein großer plattformübergreifender Angebotskosmos mit meinungsbildenden, fantasiefördernden und werteorientierenden Qualitätsangeboten, der Kinder in ihrer Individualität und Vielfalt repräsentiert, sie zum Diskurs befähigt und ganzheitlich bildet – und für Eltern längst ein Gütesiegel. Das zusammengenommen zeigt die Gemeinwohlorientierung von KiKA. Er ist einzigartig und unverzichtbar für Kinder und für die Gesellschaft. Denn die junge Generation prägt die Gesellschaft von morgen und hat nur das Beste verdient. Dafür werden wir uns auch zukünftig gemeinsam und uneingeschränkt stark machen.«[15]

Auch der Intendant des ZDF, Thomas Bellt äußerte sich ähnlich »staatstragend«:

»… Der Sender aus Erfurt ist … nicht nur für die eigentliche Kernzielgruppe, die Kinder, sondern als werte‑ und demokratiebildendes Angebot auch für die Gesellschaft insgesamt relevant. KiKA ist ein Erfolgsmodell im TV und im Netz…«[16]

Interessant ist, dass auf dieser KiKA-Seite u.a, mitgeteilt wird:

»KiKA ist mit 16,4 % Marktanteil zum 3. Mail in Folge linearer Marktführer bei den Drei- bis 13-jährigen, nach aktuellen Befragungsergebnissen im Image-Ranking Nr. 1 vor Netflix und Co. und genießt großes Vertrauen bei Kindern und Eltern.«[17]

Da überhaupt nur 45,5 % der Kinder täglich fernsehen[18] relativieren sich solche Erfolgsmeldungen natürlich ziemlich deutlich. Der KiKA freut sich außerdem über seinen Erfolg bei den nonlinearen Angeboten:

»Dazu bestätigen stetig steigende Streamingzahlen von in Summe über 200 Mio. Videoabrufen die Erfolge von KiKA.de, KiKAninchen.de, KiKA-Player, KiKANiNCHEN-APP und HbbTV.«[19]

Nun sagen 200 Mio. Videoabrufe noch nichts über die Dauer der gesehenen KiKA-Angebote aus, geschweige denn über die Qualität der Kommunikation zwischen den Kindern und den Angeboten. Die Visits zeigen also nur, dass KiKA-Seiten im Netz angeklickt worden sind, sie verdeutlichen aber eine Zielstellung des ö/r Kinderfernsehens: die Orientierung auf non-lineare Programmangebote. Die Programmgeschäftsführerin des KiKA, Astrid Plenk, formuliert diese Zielstellung folgendermaßen:

»KiKA hat aus seiner erfolgreichen und starken linearen Position heraus sukzessiv digitale Plattformen erschlossen, die alle die besondere KiKA-DNA aufweisen.«[20]

Diese aus Sicht einer Programmverantwortlich zunächst durchaus verständliche Feststellung verweist m.E. dennoch auf ein mehr als klärungsbedürftiges Problem des ö/r Rundfunks überhaupt. Wenn dieser doch einen Bildungs‑ und Kulturauftrag hat – und diesen auch erfüllen will – wie kann es dann sein, dass die von der Bevölkerung finanzierten Sender von den übrigen – in der Regel aus Steuermitteln finanzierten – linearen Bildungs‑ und Kulturangeboten abweichen dürfen? Dies meint z.B. Konsequenzen für die öffentlichen linearen Bildungs‑ und Kulturangebote die z.B. die Schulen und andere Ausbildungsangebote, z.B. Bibliotheken, Kinos und Theater, aber auch Diskos etc. bieten. Diese sind aber in der Regel zeitlich limitiert und aus verständlichen Gründen auch zeitlich fest strukturiert. Nun soll, nach Ansicht der Gesetzgeber, der ö/r Rundfunk u.a. mit dem KiKA frei floatende, also nonlinear verfügbare gemachte, Unterhaltungs‑, aber auch Bildungs‑ und Kulturangebote für Kinder in den Mediatheken und Streamingprogrammen anbieten, deren Nutzung den klassischen Zeit-Strukturen in der Aneignung von Bildungs- Kultur‑ und auch Unterhaltungsangeboten ziemlich widersprechen könnten.

Die bereits in Ansätzen praktizierten Distributionsprämissen für mediale Kinderangebote im Netz geben die inhaltlichen und zeitlichen Kuratierungsfunktionen der Programmangebote an die Kinder selbst bzw. an deren Erzieher*innen ab. Noch präziser müsste man eigentlich sagen: man überlässt es den Algorithmen der Netz‑ und Mediathekenbetreiber. Wenn z.B. bereits im Jahr 2020 7 % der 3- bis 13jährigen TikTok[21] als ihre Lieblingsseite im Internet angeben – eine Seite, die eigentlich erst ab 13 Jahren mit Einwilligung der Eltern (!) genutzt werden darf – und neben der Nutzung von WhatsApp, Suchmaschinen, YouTube/MyVideo etc., 30 % mindestens einmal pro Woche auch TikTok nutzen[22], dann wird doch zu Recht von Medienpädagogik und Medienwissenschaft auf die Probleme einer algorithmenbasierten Kuratierung von Internetangeboten für die Entwicklung von Kindern hingewiesen. Das Problem von Fake News und Filterblasen wird also zunehmend auch die Bildungs‑ und Erziehungsprozesse unserer Kinder beeinflussen, begünstigt eventuell durch die Einstellung des KiKA als lineares Angebot und seine Abschiebung ins Netz.

Eine daraus ableitbare Hypothese könnte m.E. sein, dass damit auch die anderen – nach verschiedenen Kriterien (erziehungswissenschaftlichen, kulturellen etc. Prämissen) kuratierten, öffentlich zugänglichen – aber zeitstrukturierten – Kultur‑ und Bildungsangebote zukünftig zunehmend an Bedeutung für die Bildung und Erziehung der Kinder verlieren werden! Wieso sollen also Eltern und ihre Kinder noch medienpädagogisch und/oder erziehungstheoretisch formulierte Ratschläge oder noch viel nachhaltiger: gesellschaftlich sanktionierte Maßregelungen (z.B. FSK-Bestimmungen oder FSF-Empfehlungen) akzeptieren, wenn diese im Netz nur sehr eingeschränkt gelten?

Hierzu zwei durchaus ernst gemeinte Anmerkungen:

  • Erstens: 16-Jährige dürfen in einigen Bundesländern und Kommunen bei Wahlen über die politische Zukunft ihrer Region (mit) bestimmen, und soll das zukünftig auch bei Europa-Wahlen tun können, aber über den Zugang zu bestimmten Filmen entscheiden andere, z.B. die FSK bei der Altersprädikatisierung von Filmen, die FSM bei Computerspielen und die FSF bei privaten TV-Angeboten! Das ist aus meiner Sicht eine politisch gewollte Heuchelei in Sachen gestattetem – politischem einerseits und medialem andererseits – Verantwortwortungsbewußtsein von Kindern und Jugendlichen in Sachen gesellschaftlicher Teilhabe!
  • Zweitens: In Teilen unserer Gesellschaft wird diskutiert, ob man Kindern unter 14 Jahren das Recht auf die subjektive Bestimmung ihres sozialen Geschlechts zubilligen sollte, (nach dem Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes des BMFSFJ und des BMJ aus dem Jahr 2022, bis14 mit Zustimmung der Eltern!) Warum sollten also Kinder, die über ihr eigenes soziales Geschlecht bestimmen und dieses auch wieder wechseln können, nicht auch (eventuell gemeinsam mit ihren Eltern) über ihr übriges Leben (Schule, Kulturaneignung, Politik, Sport etc.) selbst bestimmen können?

Aus diesen gesellschafts‑ und medienpolitischen Vorschlägen und den empirischen Nutzungsdaten ergeben sich u.a. weitere Fragestellungen für das ö/r und darüber hinaus auch für das private Kinderfernsehen bzw. für Kindermedien überhaupt, die im Folgenden skizziert werden sollen.

6. Wird der Beitrag des ö/r Fernsehens zum Allgemeinwohl und zur Teilhabe von Kindern an entwicklungsfördernden gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen durch eine gesetzlich vorgegebene Fokussierung auf nicht-lineare Angebote beeinträchtigt?

Ich denke ja, das wird sie, weil die den ö/r Rundfunk in mehrfacher Hinsicht finanzierenden Bürger*innen keine bürgerschaftlich orientierten Rechte auf Mitbestimmung bei solchen Entscheidungen haben. In Deutschland kann man zwar demokratisch bei dem Bau von Windkraftanlagen, Autobahnen, Straßennutzungen, Öffnungszeiten von Gaststätten und Wohnsiedlungen etc. mitbestimmen und wird dabei von der jeweils verantwortlichen Politik auch häufig gehört; bei den ungeheuer wichtigen politischen und kulturellen Meinungsbeeinflusser*innen, nämlich den Medien, müssen wir aber alle auf Gremien[23] vertrauen, die wesentlich von den politischen und kulturellen Konstellationen in den Bundesländern beeinflusst sind.

Hierfür zwei Beispiele:

In dem für den KiKA zuständigen Rundfunkrat des MDR, dem 50 Frauen und Männer angehören, gibt es z.B. 15 Vertreter*innen der Parlamente und Landesregierungen und sechs Vertreter*innen von Religionsgemeinschaften, während die Mehrheit der Mitglieder von sehr unterschiedlichen Verbänden und Vereinen delegiert wurden. Aber Vertreter*innen von Kinderorganisationen bleiben außen vor (immerhin haben der Goldene Spatz und die Kindermedienstiftung ihren Sitz in Thüringen, aber auch die für die Bildung der Kinder primär Zuständigen, nämlich die Lehrer*innen und Erzieher*innen sind im Rundfunkrat des mdr nur durch die Vertreterin einer Werkstatt für demokratische Bildungsarbeit vertreten!).

Auch im Fernsehrat des ZDF, der ja ebenfalls für den KiKA zuständig ist, gibt es keine erkennbare Interessenvertretung der jungen Generation. Von den auf der Seite des Fernsehrates gelisteten Mitgliedern vertreten 19 staatliche Einrichtungen, 7 Religionsgemeinschaften und 33 Verbände und Vereine. Von den Letztgenannten können fünf den Medien, drei der Kultur und zwei der Bildung direkt zugeordnet werden. Weder der Deutsche Lehrerverband, das Deutsche Kinderhilfswerk, der Deutsche Kinderschutzbund oder der Bundeselternrat, um nur vier Beispiele zu nennen, können die Interessen und Bedürfnisse der 10,7 Millionen Kinder in Deutschland in den Aufsichtsgremien des ö/r Rundfunks, in diesem Fall des ZDF, vertreten!

Es sieht also im Moment nicht so richtig gut aus, wenn es um die Vertretung bzw. die Rechte der Kinder und ob der Fürsorge für sie in den Medien geht – und ich habe hier sehr bewußt nicht nur die Kindermedien genannt! Und diese Feststellung bezieht sich nicht nur auf das Bewegtbildangebot. Es gibt bei den analogen 75 Hörfunkangeboten von ARD und ZDF kein Kinderradio! Nun könnte natürlich argumentiert werden, dass es in vielen Radioprogrammen auch Angebote für Kinder gibt. Die Beweisführung hierfür dürfte allerdings schwierig werden. Kinder werden beim Radiohören, anders als z.B. in der Literatur, im Kino, im Theater, im Sport, im Fernsehen, beim Spiel etc. von Anfang an auf ein Programm für alle Altersgruppen getrimmt. Als Ausnahmen von dieser Feststellung müssen genannt werden: der Privatsender Radio Teddy, das gemeinnützige Radiojojo als Internetangebot; Mein Kinderradio als Internetradio; Toggo Radio als Streamingangebot und KiRaKa vom WDR als ein Hybridangebot von Zeitfenstern im Analogradio und Angeboten im Internet. Immerhin ist das Radio hören bei Kindern in den letzten zehn Jahren relativ stabil geblieben und lag 2020 bei 50 %[24] »mindestens einmal pro Woche«[25].

7. Wie könnten ö/r Rundfunkangebote für Kinder wieder deren Mehrheit erreichen?

In Deutschland leben gegenwärtig ca. 10,7 Millionen Kinder[26] die im internationalen Bildungsvergleich bestenfalls im Mittelfeld rangieren. Welche Rolle könnten in diesen schwierigen Bildungsprozessen die AV-Medien spielen? Die Antwort muss nach dem Selbstverständnis der ö/r Programmacher*innen lauten: eine wichtige Rolle, denn nur bei den ö/r Angeboten wird den Kindern die bestmögliche Qualität geboten, siehe die bereits zitierten Glückwunschelogen auf den KiKA zu dessen 25. Geburtstag! Das scheint aber ein nicht unbeträchtlicher Teil der Kinder und Eltern nicht zu wissen, denn die ö/r Anstalten erreichen nur noch eine Minderheit der Kinder in unserem Land. Eine spannende und für unser Thema wichtige Frage ist, inwieweit Kindermedien die individuellen Erfahrungswelten aller in Deutschland lebenden Kinder programmlich bedienen können. Inwieweit darf das individuelle Gemeinwohl einem gesellschaftlich dominierenden Gemeinwohl nachrangig sein? Ich habe darauf leider keine Antwort! Aber ein paar Interpretationsversuche:

  • Das von mir gewünschte Kinderfernsehprogramm für alle Kinder könnte z.B. bedeuten, dass der KiKA stundenweise fremdsprachige (türkische, arabische, ukrainische etc. Kinderprogramme etc.) anbietet, um auch diesen Bevölkerungsgruppen ein (im besten Falle integrierendes) Angebot machen zu könnnen.
  • Die für die Medien verantwortlichen Parlamente, Rundfunkräte, zivilgesellschaftlichen Organisationen etc. müssen sich konsequenter als bisher zu ihrer Verantwortung für das Wohl der Kinder bekennen und es auch verantwortungsbewußt praktizieren, etwa in dem der KiKA als linearer Ausspielweg unbedingt erhalten wird.
  • Dies heißt auch Nachdenken über eine mögliche Sonderfinanzierung von gemeinwohlorientierten audio-visuellen Kinderprogrammen durch die Öffentlichkeit!
  • Die Nutzungsgewohnheiten der – nicht nur älteren – Kinder machen deutlich, dass die Programmplanungen und ‑realitäten von ARD und ZDF im späten Nachmittags‑ und frühen Abendprogramm die Generation der Kinder entweder ausblendet oder sehr bewußt ignoriert! Dabei geht es hier nicht so sehr um die Dominanz von Kriminalserien und Shows etc. in den von älteren Kindern bevorzugten Zeitschienen im ö/r Fernsehen, sondern auch um ein Gesamtkonzept für diese Sendeschienen.
  • Diese Verantwortung lässt sich m.E. nicht primär durch gesetzliche Regelungen klären, sondern bedarf Regelungen, die durch zivilgesellschaftliche Strukturen ermöglicht bzw. bestimmbar sind.
  • Ich plädiere also dafür, dass unsere Gesellschaft die Aufgabe für die Finanzierung und auch Kontrolle der wichtigsten Medien für Kinder endlich vollständig übernimmt.
  • Gefordert sind hier nicht nur die ö/r, sondern auch die privaten Medienanbieter.

8. Qualität im Kinderfernsehen

Der Qualitätsdiskurs, der die Grundlage medienpolitischer Entscheidungen sein muss, erfordert eine klare Definition von Qualitätskriterien für differenzierte Kindermedien. Natürlich gab es immer wieder Versuche, auch Bewertungsprozesse empirisch zu objektivieren. Ich halte diese auch heute noch für notwendig, aber nicht als Objektivierungs‑, sondern als Erklärungshintergrund. Allerdings lassen sich Filme und Fernsehsendungen noch[27] nicht wie »nicht-künstlerische Objekte« in objektive (technische, kommunikative oder auch sensorische etc. Parameter) und rein subjektive Befindlichkeiten (Gefallen des Hotelzimmers, Geschmack der Schokolade, Bedienbarkeit des Rasenmähers, Kommunikation meiner Hausärztin etc.) kategorisieren.

Erstaunlicherweise aber wird über Qualität im deutschen Fernsehen – und leider auch und insbesondere im Kinderfernsehen – in der medialen Öffentlichkeit seit vielen Jahren nicht mehr ausführlich diskutiert. Eine aktuelle Recherche erbrachte fast nur wissenschaftliche Funde, die zwischen 10 und 20 Jahren zurück liegen. Das ist ein interessanter, wie auch gleichzeitig etwas verstörender, Befund angesichts der Tatsache, dass wir seit vielen Jahren in so gut wie allen gesellschaftlichen Bereichen mit einer öffentlich geführten Diskussion über »Qualität« leben. Bei der Bewertung der Qualitäten von Staubsaugern, Kühlschränken, Pizzen und auch Joghurts etc. werden mir in Regel die Bewertungskriterien mitgeteilt. Das geschieht in der Regel auch in der Bewertung von Hotels, Ferienreisen und Ferienwohnungen etc. Und wenn ich mich selbst in diesen Bewertungsdschungel begebe, werde aufgefordert, vorgegebene Kriterien zu berücksichtigen, z.B. Freundlichkeit des Personals, Preis-Leistungs-Verhältnis, Qualität des Frühstücks etc. Solche »Stellschrauben« zur Ermittlung der Qualitäten von Film‑ und Fernsehangeboten gibt es jedoch nicht. Zu Recht? Wir haben offenbar inzwischen die ständige Verfügbarkeit von Massenmedien auch für Kinder akzeptiert. Warum eigentlich? Erregungspotenziale unserer Gesellschaft artikulieren sich zwar gegen Lehrer*innen, die Schüler*innen nicht so bewerten, wie manche Eltern es sich wünschen, gegen falsche Angebote in den Schulspeisungen oder gegen falsche Entscheidungen bei den SchulKinoWochen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Die zunehmend medial vermittelte Erregung zum Thema Kinderfernsehen macht zwar auf ein Problem aufmerksam, trägt aber noch nicht zu seiner Lösung bei.

Ich plädiere zunächst für eine Differenzierung zwischen für mich notwendigen Entscheidungskriterien im Qualitätsdiskurs zum Thema Kinderfernsehen. Zum einem spreche ich mich für eine Art Gütesiegel aus, das primär kindgerechte (bezogen auf differenzierte Gruppen aktueller Kindheiten!) Medienangebote kennzeichnen sollte, die durchaus unterschiedlichen medienästhetischen Kriterien unterliegen können.

Eine differenzierte Bewertung (à la ADAC oder Stiftung Warentest) wäre wünschenswert. Die Etablierung eines Bewertungsportals von Kindern für Kindermedien wäre für dieses Konzept durchaus dienlich. Ein zweiter Punkt wäre die Einrichtung einer Expert*innen-Bewertung von Kindermedien. Ich bin davon überzeugt, dass wir – bezogen auf alle Kindermedien – etwa 50 bis 75 Prozent identische Kriterien finden werden, aber eben auch 25 bis 50 Prozent unterschiedliche!

Grundsätzlich meine ich, dass solche Medien die Träume und Phantasien des kindlichen Publikums anregen bzw. befriedigen sollten. Sie müssten Geschichten in einer Art und Weise erzählen, die diese Wirkungen hervorrufen bzw. verstärken können. Dazu zählen m.E.:

  • eine kindheitengemäß (»kindheitengemäß« soll als Synonym für differenzierte Kindheiten mit unterschiedlichen Einflüssen stehen, also soziale, mediale, kulturelle, familiäre etc.) erzählte Fabel, durch Szenografie, Tongestaltung, Darsteller*innen und Regie etc.
  • Geschichten erzählen, die in den kindheitengemäßen Diskursen zumindest kurzzeitig Bestand haben
  • Geschichten erzählen, die den Kindern bei der Lösung von Entwicklungsaufgaben und damit bei der Entwicklung von aktuellen und zukünftigen Lebensstrategien helfen
  • Geschichten erzählen, die die medienästhetischen und ‑kritischen Kompetenzen der Kinder nutzen und weiterentwickeln hilft
  • Geschichten erzählen, die den Kindern im Rezeptionsprozess und danach die Entwicklung von emotionalen Haltungen ermöglichen, z.B. Spass, Betroffenheit, Spannung etc.
  • eine entsprechende kindheitengemäße Werbung

9. »Gute« Medien für »gute« Kinder, »böse« Medien für »böse« Kinder?

Kindheiten werden in der Gegenwart fast ausschließlich als Altersstufen betrachtet. Und von den medialen Angeboten auch so eingeordnet bzw. klassifiziert, z.B. durch Altersempfehlungen für Kinofilme, Fernsehsendungen, Hörbücher, Spiele etc. Und auch die empirische Medienforschung bei Kindern wertet ihre Ergebnisse primär nach Altersstufen aus. Kaum berücksichtigt werden dabei die differenzierten sozio-kulturellen Milieus, in denen Kindheiten verbracht werden und die wiederum die Aneignung medialer Angebote beeinflussen. Und das, obwohl wir wissen, wie stark in der BRD die Teilhabe von Kindern an Bildung, Wissen, Kultur und Kunst von der Schichtenzugehörigkeit ihrer Familien beeinflusst ist.

Nun wird es schwierig: Es gibt, wie oben schon angedeutet, keine objektiv verifizierbaren Bewertungsmaßstäbe für Kunst- oder Medienerlebnisse, weder bei Fachleuten noch bei Kindern. Die immer wieder gehypten Zuschauer*innen bzw. Nutzer*innenzahlen sagen eher etwas über den Erfolg von Marketingsmaßnahmen denn über subjektive Bewertungen aus. Die aus meiner Sicht dringend notwendige Wirkungsforschung zum Thema Kindermedien und Kindern ist in der BRD leider zu Gunsten einer permanenten Wähler*innen-Forschung (dies meint Parteien gleichermaßen wie Konsumgüter!) in die Forschungssphäre von Hochschulen und pädagogischen Einrichtungen getrieben worden, wo sie offenbar wenig Interesse findet.

Wir bewegen uns also in Feldern von Annahmen, Vermutungen und Wünschen zum Thema Medienwirkungen im Kindesalter, die immer dann gesellschaftlich ventiliert werden, wenn es um scheinbare oder auch tatsächliche Kausalitäten zwischen konsumierter Mediengewalt und in der Realität ausgeübter Gewalt geht, z.B. bei Amokläufen oder rassisistischen Verhaltensweisen von Schüler*innen. Solche Wirkungsannahmen beeinflussen dann wiederum den Jugendmedienschutz (FSK, FSF, FSM, KJM, Bundesprüfstelle etc.). Wenn solche Wirkungsannahmen bei der Vermeidung problematischer Medienwirkungen offenbar gut funktionieren, müsste das im Umkehrschluss ja auch für die Analyse und Benennung gesellschaftlich wünschenswerter Medienwirkungen zutreffen.

Können also von uns zu identifizierende »gute« Medienangebote zur Entwicklung und Stabilisierung gesellschaftlich gewünschter Werte, Orientierungen und Verhaltensweisen bei Kindern beitragen? Oder wissen Kinder, was sie brauchen (ab welchem Alter?) und nutzen die Medien bereits bedürfnisgerecht? Die »guten« Kinder finden eine Bestätigung ihrer Haltungen und Werte durch die von uns gewünschten, gemeinwohlorientierten Qualitätsmedienangebote, während sich die »bösen« Kinder, zur Unterstützung ihres »Böseseins« andere Medienangebote suchen? Natürlich ist das eine sehr undifferenzierte und pauschale Betrachtung, aber viele Ergebnisse der Kindermedienforschung stützen eine solche Pauschalisierung z.B. zur Abhängigkeit von Bildungserfolgen bei Kindern von der sozialen Schicht, zur Kinderarmut, aber auch zur Abhängigkeit des Mediengebrauchs von sozialen Milieus etc.

Ich vermute, dass wir alle, die sich alltäglich oder auch wissenschaftlich mit der Qualität von Kindermedien beschäftigen, auch entsprechende »Stellschrauben« für unsere Urteile im Kopf haben. Diese lassen sich aber nicht in kategoriell zugeordneten künstlerischen Kriterien einordnen, obwohl individuelle wie auch professionelle Bewertungen (z.B. Juryentscheidungen oder auch Medienkritiken) dieses mitunter nahelegen! Natürlich gab es immer wieder Versuche, auch künstlerische Bewertungsprozesse empirisch zu objektivieren und ich halte diese auch heute noch für notwendig, aber nicht als Objektivierungs‑, sondern als Erklärungshintergrund.

10. Schlussfolgerungen und Thesen zu einem künftigen Gelingen eines vielfältigen und zeitgemäßen Kinderfernsehens

Was könnten die hier ausgebreiteten empirischen Fakten, medienpolitischen Diskurse, Alltagsbeobachtungen und kindheitsbezogene Anliegen für Schlussfolgerungen in Sachen Zukunft des ö/r Kinderfernsehens bzw. des Kinderfernsehens überhaupt generieren? Dazu ein paar grundlegende und zusammenfassende Thesen:

  • Ich plädiere dafür, dass unsere Gesellschaft die Aufgabe für die Finanzierung und auch Kontrolle der wichtigsten Medien für Kinder endlich vollständig übernimmt!
  • Nachdenken über eine mögliche Sonderfinanzierung von gemeinwohlorientierten audio-visuellen Kinderprogrammen durch die Öffentlichkeit!
  • Das ö/r Kinderfernsehen, also der KiKA und die Kinderangebote in den übrigen ARD‑ und ZDF-Programmen, müssen linear erhalten und ausgebaut werden
  • Das ö/r Fernsehen braucht einen jungen Kanal, der statt der Befriedigung von regionalen Partikular‑ und anderer Spezialinteressen, ein gemeinwohlorientiertes Angebot an die junge Generation unseres Landes erfolgreich gestaltet

Gefordert sind aber nicht nur die ö/r, sondern auch die privaten Medienanbieter.

  • Ich plädiere für die Entwicklung von Qualitätskriterien zum Thema Kinderfernsehen. Nicht zuletzt spreche ich mich für eine Art Gütesiegel aus, das primär kindgerechte (bezogen auf differenzierte Gruppen aktueller Kindheiten!) Medienangebote kennzeichnen sollte, die allerdings durchaus unterschiedlichen medienästhetischen Kriterien unterliegen können

Prof. em. Dr. Dieter Wiedemann war von 1995 bis 1999 Rektor bzw. 2012 Präsident der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf. Wiedemann ist Autor und Herausgeber zahlreicher Publikationen zu Film, Fernsehen und Theater, insbesondere zu Rezeption und Wirkung, mit dem Schwerpunkt Kinder und Jugendliche, zur Medienpädagogik und zur künstlerischen HS-Ausbildung. Gemeinsam mit Thorolf Lipp leitete er von 2021 bis 2024 die AG Medienzukunft in der DAfF.

Literatur und Verweise

Deutscher Kinderschutzbund: Jahresbericht 2021

Dörr, D.: Staatsferne und Vielfalt. In: MEDIENKORRESPONDENZ vom 23.05.2014

Feierabend, S. und Scolari, J.: Was Kinder sehen. In: Media Perspektiven 4/2021

Feierabend, S.; Glöckler, St.; Khaeredmand, H.; Rathgeb, Th.: Ergebnisse der KIM-Studie 2020 Kindheit, Internet, Medien: Kontinuität trotz Pandemie. In: Media Perspektiven 4/2021

Gottberg, J.; Mikos, L.; Wiedemann, D. (Hg.): .Kinder an die Fernbedienung, Berlin 1997

Kinder an die Macht, Song von Herbert Grönemeyer 1986

Medienänderungsstaatsvertrag (Zweiter): https://www.ard-media.de/fileadmin/user_upload/media-perspektiven/Dokumentation/Doku_II_2023_final.pdf (aktuell zuletzt am 25.09.2023)

Medienänderungsstaatsvertrag (Dritter): https://www.ard-media.de/mediaperspektiven-themenwelten/medienrecht-politik/1-1 (aktuell zuletzt am 25.09.2023)

Medienänderungsstaatsvertrag (Vierter): https://www.mainzer-medieninstitut.de/wp-content/uploads/4_MAEStV_MPK-Beschlussfassung.pdf (aktuell zuletzt am 25.09.2023)

Oberst, W.: Der Kinderkanal von ARD und ZDF in der Diskussion. In: Media Perspektiven 1/1997, S. 23 – 30

Popkultur 2.0. Unterhaltung und Bildung in sozialen Medien, verschiedene Beiträge zu diesem Titelthema In: Mediendiskurs 4/22

TikTok und der Tod, In: DIE ZEIT Nr. 17/2023

Was Kinder sehen. In: Media Perspektiven 4/2021

Fussnoten

[1] Kinder an die Macht, Song von Herbert Grönemeyer 1986

[2] Feierabend et al.: Kindheit, Internet, Medien: Kontinuität trotz Pandemie. In: Media Perspektiven 4/2021: 202ff.

[3] ebenda, S. 220

[4] eigene Auswertung nach Daten: ebenda, S. 223

[5] Feierabend et al.: Kindheit, Internet, Medien: Kontinuität trotz Pandemie. In: Media Perspektiven 4/2021: 202ff.

[6] ebenda: S. 204

[7] ebenda S. 207.

[8] vergl. u.a.: DIE ZEIT Nr. 17/2023: »TikTok und der Tod«

[9] Deutscher Kinderschutzbund: Jahresbericht 2021, S. 7, 9 und 17

[10] https://www.dkhw.de/schwerpunkte/ (aktuell zuletzt am 30.4.23)

[11] ebenda

[12] Joachim von Gottberg; Lothar Mikos; Dieter Wiedemann (1997): Kinder an die Fernbedienung

[13] ebenda: S. 9

[14] Oberst, Walter: Der Kinderkanal von ARD und ZDF in der Diskussion. In: Media Perspektiven (1997), S. 23 bis 30

[15] https://kommunikation.kika.de/presse-informationen/pressemitteilungen/2022/kikafeierich-gesamt-100.html (aktuell zuletzt am 30.06.2023)

[16] ebenda

[17] ebenda

[18] Feierabend et al.: Kindheit, Internet, Medien: Kontinuität trotz Pandemie. In: Media Perspektiven 4/2021: 214f.

[19] https://kommunikation.kika.de/presse-informationen/pressemitteilungen/2022/kikafeierich-gesamt-100.html (aktuell zuletzt am 30.06.2023)

[20] ebenda

[21] Einen lesenswerten Überblick über den Diskursstand zum Thema »TikTok-Nutzung durch Kinder« liefert mediendiskurs 4/22

[22] Feierabend et al.: Kindheit, Internet, Medien: Kontinuität trotz Pandemie. In: Media Perspektiven 4/2021: 209

[23] der Autor gehörte dem Rundfunkrat des ORB an

[24] Feierabend et al.: Kindheit, Internet, Medien: Kontinuität trotz Pandemie. In: Media Perspektiven 4/2021: 205

[25] hier wurde allerdings im Unterschied zum fernsehen, die Möglichkeit des Radiohörens im Internet nicht mit abgefragt!

[26] Die Kinder von Geflüchteten sind in dieser Statistik noch nicht erfasst.

[27] Die aktuellen Diskussion um die KI und ihre möglichen Konsequenzen für die Gestaltung künstlerischer Prozesse lassen zumindest die Hypothese zu, dass dies in absehbarer Zeit möglich werden könnte!