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Die DEUTSCHE AKADEMIE FÜR FERNSEHEN soll in der öffentlichen Diskussion über die Medien und ihre Inhalte zu einer Stimme der Fernsehschaffenden werden und das Bewusstsein für die kreativen und künstlerischen Leistungen derjenigen, die die Fernsehprogramme gestalten, fördern und stärken.

Zweck laut Satzung der DEUTSCHEN AKADEMIE FÜR FERNSEHEN ist die Entwicklung des deutschen Fernsehens als wesentlichen Bestandteil der deutschen Kultur sowie der deutschen Kulturwirtschaft zu fördern und deren Vielfalt zu erhalten, das Gespräch und den Austausch von Ideen und Erfahrungen zwischen den deutschen Fernsehschaffenden insbesondere auch zwischen freiberuflichen und in Sendern festangestellten anzuregen, zu stärken und zu pflegen, den Diskurs zu inhaltlichen und wirtschaftlichen Aspekten des deutschen Fernsehens zu führen.

Dazu werden öffentliche Veranstaltungen zu kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Themen im audiovisuellen Bereich organisiert, Weiterbildungsveranstaltungen für im audiovisuellen Bereich tätige Personen unter Leitung von Mitgliedern des Vereins oder externen Experten durchgeführt, und die Verleihung einer Fernsehauszeichnung, gegebenenfalls mit noch zu bestimmenden Partnern, vorbereitet und durchgeführt.

Die Akademie hat ihren Sitz in Berlin und München. Sie wird allen kreativen Fernsehschaffenden mit langjähriger Erfahrung und besonderer Leistung bei der Herstellung deutscher Fernsehwerke aus den Bereichen Fiction, Non-Fiction, Unterhaltung und Journalismus offen stehen.
Ab 2024 ist der normale Beitragssatz € 180, in Ausnahmefällen ist er reduziert.

Bitte beachten Sie unsere angepassten Mitgliedsbeiträge ab Januar 2024.

Diese entnehmen Sie der aktualisierten Beitragssatzung unter https://daff.tv/wp-content/uploads/2023/09/Beitragsanpassung_Anlage3_MVDAfF_2023_final.pdf

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Sabine Rollberg: Redaktionen im ö/r Fernsehen. Was sie waren, was sie sind und was sie in Zukunft sein könnten.

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Sabine Rollberg: Redaktionen im ö/r Fernsehen. Was sie waren, was sie sind und was sie in Zukunft sein könnten.

Sabine Rollberg

Redaktionen beim öffentlich‑rechtlichen Fernsehen. Was sie waren, was sie sind und was sie in Zukunft sein könnten

Bis an ihr Lebensende wusste meine Mutter nicht, was unter dem Beruf einer Redakteurin bei einem Sender zu verstehen ist, sie nahm meinen Beruf nur wahr, wenn ich moderierte, also zu sehen oder zu hören war – was nicht zu den Kernaufgaben von Redakteuren gehört. Den Namen, der unter Redaktion auf den Abspännen – also am Ende jeden Programms – schnell über den Bildschirm huscht, merkt sich niemand und in der breiteren Öffentlichkeit weiß selten jemand, welcher Tätigkeits‑ und Verantwortungsbereich sich unter der Bezeichnung »Redakteur*in« verbirgt. Meine Mutter steht also mit ihrer Unkenntnis nicht allein.

Was macht eine Redaktion?

Bei Wikipedia steht, Redakteur komme aus dem Lateinischen: »redigere«, auf Deutsch »zurückführen, in Ordnung bringen«, genauer vom Partizip des Verbs redigere, also redactum, auf Deutsch zurückgeführt, in Ordnung gebracht. Sinn des Redakteurberufs könnte also sein, das von freien Autor*innen gelieferte Projekt in Ordnung zu bringen. Im Alltag eines Senders gestaltet sich das folgendermaßen: eine Autor*in hat eine Idee, schlägt diese einer Redaktion vor. Wenn die Redaktion einverstanden ist, wird der Auftrag erteilt, das Projekt in seinen Details verabredet und von Autor*in, Reporter*in oder Filmemacher *in zum Programm umgesetzt. Dort werden dann auch die ersten Ergebnisse vorgeführt und am Ende der Zusammenarbeit steht die sogenannte Abnahme, ein wesentlich wichtiger Endpunkt der Zusammenarbeit. Die Redaktion ist im Sender und gegenüber der Öffentlichkeit für die »Richtigkeit« eines Programms verantwortlich. Diese Verantwortung wird vom Intendanten oder der Intendantin als oberstem Dienstherrn an die Redaktionen delegiert. Im Sinne des Presserechts muss die Redaktion dafür geradestehen, dass die Fakten stimmen, dass es, insbesondere bei heiklen Recherchen, für diese mindestens zwei Quellen gibt, dass auf redlichen Wegen recherchiert wurde, dass niemandes religiöses oder kulturelles Gefühl verletzt und niemand diskriminiert wurde. Das zählt zu den journalistischen und ethischen Pflichten eines Senders. Die Redaktion steht daher als für das Programm verantwortliche Instanz auf dem Abspann – das gilt auch für die Zeit nach der Ausstrahlung: Wenn sich jemand über eine Sendung ärgert, schreibt er oder sie meist an die Intendanz. Den Brief zu beantworten hat die Redaktion.

Ich bin sehr dankbar, die Tätigkeit einer Redakteurin in Zeiten kennengelernt haben zu dürfen, als eine Redaktion ihre redaktionelle Verantwortung noch sehr frei und kreativ wahrnehmen durfte. In diesen Zeiten genügte auch oft eine kurze unbürokratische Verabredung zwischen Autor*innen und Redaktion, ein Handschlag besiegelte ein neues Projekt. Gegenseitiges Vertrauen und Wohlwollen war die Grundlage der Zusammenarbeit. Autor*innen der Anfangsjahre sprechen davon, dass ohne diese freundschaftlichen Bande kein gutes Programm hätte entstehen können.

Dies würde heute eher mit Misstrauen angesichts der Gefahr von Vetternwirtschaft oder Kumpanei gesehen. Inzwischen ist die Aufgabe eines Redakteurs eher die der Endkontrolle.

Aber zurück zu den Anfängen

Die Redaktion ist nicht nur gedacht als letztendlich Verantwortliche für ein Programm am Ende, sondern als der Sparringpartner des/r Autor*in während des Schaffensprozesses, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Eine gute Redakteur*in hat das Ziel, die Autor*innen zu beflügeln, zu inspirieren, anzuregen, das Thema optimal zu gestalten. Die Redaktion soll darauf achten, dass wichtige Fragestellungen nicht außer Acht gelassen, neue Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Redaktion und Autor*innen sollten Gesprächs‑ und Ansprechpartner*innen für alle Fragen und Probleme sein, um dem Autor die Recherche und Produktion zu erleichtern. Die Redaktion sollte möglichst genauso viel über das Thema wissen, wie die Autor*innen, um auf Augenhöhe miteinander zu sprechen und auch, um Autor*innen vor möglichen Fehlern zu bewahren. Die Redaktion soll begleiten, beschützen, es muss ein gegenseitiges, offenes Vertrauensverhältnis bestehen. Die Redaktion muss für das Projekt die Zustimmung der Vorgesetzten einholen, er/sie muss es also dort pitchen und vertreten, denn es braucht ja für die Bewilligung eines Projektes die Unterschriften der oberen Hierarchien. Das war auch schon früher so. Aber damals ging es unkomplizierter und schneller.

Wenn es ein Problem gab, etwa eine Programmbeschwerde, dann stand die Intendanz, wo die Beschwerde ja meist eingeht, hinter der Redaktion und verteidigte den Beitrag. Die Geschäftsleitung ging davon aus, dass hier kompetente Leute am Werk waren, die nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hatten. Ein Fall, wie das »Omagate«, wo der WDR-Intendant ohne Rücksprache mit der Redaktion in eine Radiosendung seines Hauses hineintelefonierte und einer vermutlich politisch gesteuerten Social Media Kampagne Recht gab, wäre früher undenkbar gewesen. Und das nicht, weil es früher keine Social Media gab: Redakteure hatten eine starke Position im Sender, waren früher auch weitgehend solidarisch miteinander. Sie wählten sieben Vertreter*innen in ihre Redakteursvertretung. Wenn diese zu den Redakteursversammlungen einluden, waren die Säle randvoll, die Geschäftsleitung lauschte und ein echtes Interesse an Äußerungen und Kritikpunkten von Redaktionsseite war zu spüren. Schließlich waren viele Programmhierarchen selbst einmal Redakteure und wollten gutes Programm machen. Die Redakteursvertretung ist das Bindeglied bei Programmkonflikten zwischen Redaktion und Autor*innen und der Hierarchie. Der WDR war der erste Sender in der ARD, der sich ein Redakteurs- Statut gegeben hat. Im Jahr 1987 wurde es verabschiedet:

»Der WDR ist als Medium und Faktor des Prozesses freier Meinungsbildung Sache der Allgemeinheit. Der WDR erfüllt seinen Programmauftrag im Rahmen seines Selbstverwaltungsrechts in eigener Verantwortung, insbesondere durch die berufliche Qualifikation und Funktion seiner Programmmitarbeiter(innen). Die im Sendegebiet bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Kräfte und Gruppen gewährleisten die eigenverantwortliche Erfüllung seiner Aufgaben nach Maßgabe der Bestimmungen des WDR-Gesetzes.«[1]

Der WDR ist dem Grundgesetz und dem eigenen WDR- Gesetz verpflichtet. Er muss die im Sendegebiet bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Kräfte in seinem Programm spiegeln. Sicherlich kommt in meiner Erinnerung hinzu, dass ich selbst jung, engagiert, voller Tatenkraft war, aber das in meiner Wahrnehmung Entscheidende, was ich im Vergleich zu heute beobachten kann, war, man ließ uns Redakteur*innen machen. Wenn ich eine Idee hatte, hieß es: »Probiere es aus!« Es war eine kreative Atmosphäre, es durfte – Stichwort Fehlerkultur – auch mal was schief gehen. Vielfalt und Innovation waren wichtiger als Gefallen um jeden Preis.

Die Medienlandschaft hat sich inzwischen grundlegend verändert. Meine positiven Erfahrungen stammen aus den 1980er und frühen 1990er Jahren, als man jeden Monat eine neue Sendung entwickelte und auf keinen Fall im Stillstand verharren wollte. Als nach Abnahmen in Schneideräumen noch kreativ und auch oft mit Wein und Käse zusammengesessen und Ideen für neue Programme gemeinsam entwickelt wurden. Die Schneideräume waren einst kreative Keimzellen des Senders, persönlich einer Editor*in zugeordnet. Sie wurden um die Jahrtausendwende »kollektiviert«, also zu einem Pool, kein Cutter hatte mehr einen eigenen Schneideraum. Aus räumlichen und ökonomischen Gesichtspunkten war das sicher sinnvoll und effektiv, aus atmosphärischen und programmlichen Perspektiven jedoch nicht zielführend. Diese Auflösung der persönlichen Schneideräume habe ich im Rückblick oft als eine Zäsur im Sender empfunden. Kreativität braucht nicht nur gedankliche Freiräume, sondern auch geschützte Räume als physische Orte.

Es war bis dahin eine recht konkurrenzlose Zeit, ohne private Medien, ohne Internet. Es gab auch Kritiker, die diese Zeit »Redakteursfernsehen« nannten. Darin schwingt der Vorwurf mit, dass Redakteur*innen gewissermaßen Sendungen für sich und ihre Freunde machten. Es gab sicher auch viel Negatives, wie Machtmissbrauch, Ressourcenverschwendung, Günstlingswirtschaft oder mangelnde Diversität.

Mit der wachsenden Konkurrenz der privaten Anbieter, entschied man Anfang der 1990er Jahre in den ö/r Sendern, dass es wichtig sei, mehr Publikum zu haben, bzw. die Zuschauer nicht an die private Konkurrenz zu verlieren. Insofern hörte man nach und nach auf, Spezialinteressen zu bedienen, denn nur Minderheiten schätzen Jazz oder Ballett, wichtig war die Masse. Also löste man die Fachredaktionen auf. Eine Redakteur*in die noch gestern zum Beispiel ein Experte für Fragen des globalen Südens war, musste morgen ins Landesstudio Düsseldorf wechseln. Universalisten, Generalisten waren nun gefragt und keine Experten für Spezialthemen. Für die Geschäftsleitung war das vorteilhaft. Expert*innen ließen sich in den Gründerjahren der Sender von den Hierarchien nicht so leicht in ihr Programm hereinreden. Sie hatten ja durch ihr Fachwissen Argumente auf Lager, warum sie eine Programmentscheidung so oder so gefällt hatten. Mit dem fehlenden Fachwissen konnte von oben leicht ein Programm in vielen Aspekten verändert werden. Es gab dagegen keinen Widerstand mehr.

Viele Redaktionen, die in den ersten 40 Jahren der Geschichte des ö/r Rundfunks der Bundesrepublik das Rückgrat der Sender waren, haben heute Wirkungsmacht und Gestaltungskraft verloren. Angst, Inkompetenz, mangelnde Transparenz, fehlende Kommunikation und undurchsichtige Hierarchiestrukturen haben dazu beigetragen. Das macht anfällig für falsche Entscheidungen und für das Verschlafen aktueller Ereignisse. Daran krankt das System des ö/r Rundfunks. Es ist manchmal verwunderlich, dass überhaupt noch neue Programme entstehen.

Angst – wieso haben Redakteure Angst?

Rerdaktionsmitglieder sind meist festangestellt, werden ordentlich bezahlt, sie sind geschützt, denn es gibt einen Personalrat im Haus, eine Redakteursvertretung, ihre Rente ist sicher. Sie haben Privilegien, wie Urlaubsgeld, ein 13. Monatsgehalt etc. Dennoch geht eine Angst in den Anstalten um. Wenn zwei Kolleg*innen sich über einen Missstand austauschen wollen, verziehen sie sich vors Haus und schauen hinter sich, bevor sie offen miteinander sprechen. Es hat sich ein System von Günstlingen breit gemacht. Man gehört dazu oder nicht. Es gibt Cliquen um Hierarchen, wenn man da nicht dazu zählt, wird man unsichtbar, gläsern. Keiner hört einem zu, wenn man auf Konferenzen etwas sagt. Es ist einschüchternd, verletzend, wenn man so übergangen wird. Kolleg*innen bekommen das Stigma, schwierig zu sein, werden ausgegrenzt. Kurz: Man stirbt den sozialen Tod. Das halten viele nicht gut aus. Es entsteht ein Kontrollsystem des Wohlverhaltens, wie einst bei Hofe. Überall ist ein Günstling der Geschäftsleitung installiert, der zuverlässig alles nach oben meldet.

»Me-too«–Fälle waren im Kollegenkreis bekannt, lange bevor sie im Stern oder Spiegel standen. Der Redakteur, der sich – viele Jahre davor – der Opfer angenommen und Aufklärung gefordert hatte, wurde gemobbt, regelrecht krank gemacht, er wurde als Nestbeschmutzer stigmatisiert, als Querulant verleumdet. Die Art und Weise, wie er in der Betriebsöffentlichkeit von der Geschäftsleitung vorgeführt und ausgegrenzt wurde, verbreitete Angst unter den Mitarbeiter*innen, dass es ihnen genauso gehen könnte, wenn sie sich solidarisch mit ihm oder den Opfern zeigten. Es gab damals noch keine spezifischen Anlaufstellen für solche Fälle außer dem Personalrat. Auch da hieß es dann, »stell Dich nicht so an«…

Redaktionen sind vielfach mit sich selbst beschäftigt, sie nehmen daher auch kaum war, wie gefährlich und ungemütlich es für die Autoren*innen draußen im Einsatz sein kann, dass eine Autor*in oft ihre Haut zu Markte trägt, viel riskiert. Die meisten Redaktionen kommen vor lauter Bürokratie gar nicht dazu, dies auch zu bedenken. Sie sind zu sehr mit sich und ihrer Stellung im Hause beschäftigt. In diesem Klima verbreiten sich die Angstbeißer virushaft. Ein WDR-Kollege hat es mal so formuliert: Das SED-System hat im WDR überlebt.

Inkompetenz

In den Anfangsjahren des Fernsehens kamen die Redakteur*innen aus anderen Branchen: Theater, Verlage, sie waren Fachredakteure*innen und es gab – davon war schon die Rede – Fachredaktionen. In den Redaktionen arbeiteten Expert*innen für ihr Gebiet, die Entscheidungen, die sie trafen, waren auf ihrer Kompetenz aufgebaut und diese Kompetenz war auch gefragt und geschätzt. Vorgesetzte wären gar nicht auf die Idee gekommen, alles besser wissen zu wollen und in Konkurrenz mit den Redakteur*innen zu treten.

Die Redaktionen waren der Sender. Sie waren programmprägend, fühlten sich frei und waren daher offen für Innovation. Sie wagten Veränderung, ihr Ziel war es, Avantgarde zu sein und couragierte Projekte zu riskieren. Und ganz wichtig: Es gab eine gelebte und tolerierte Fehlerkultur. Doch in der Ära Pleitgen, in den 1990er Jahren, wurde die Fachredaktion abgeschafft, jeder sollte alles können, heute Service, morgen Sport, übermorgen Landes- oder gar Auslandsstudio. Der damalige Intendant war überzeugt, so den Sender besser für die Zukunft zu wappnen. So passierte es, dass in Paris Korrespondenten eingesetzt wurden, die Le Pen so aussprechen als hieße die Familie Le Pain. Man musste nicht mehr gut die Sprache können oder gar das Land fundiert kennen. Auslands-Korrespondentenstellen wurden oft als Belohnung für genehmes Verhalten vergeben. Auch bei Führungspositionen kamen jetzt die zum Zuge, die sich unterordnen konnten und in Seilschaften bewährt hatten.

Die Auswahl der Mitarbeiter*innen erfolgte konsequenterweise sehr oft selbstreferenziell. Hierarch*innen suchten nicht mehr nach Mitarbeiter*innen, die die eigenen Defizite ergänzen konnten. Vielmehr war das Kriterium auf einmal »wer spiegelt mich am besten?«. Unerwünscht wurden Mitarbeiter*innen, die fähiger und fachlich besser waren als Vorgesetzte. Ein El Dorado für narzisstisch gestörte Personen. Souveräne Führungskräfte suchen nach kompetenten Mitarbeiter*innen. Unsouveräne fühlen sich dadurch weiter verunsichert. So setzte sich Inkompetenz von oben nach unten fort und fest. Auch hier bietet sich der Vergleich mit den Strukturen in der DDR an: Wer sagt, der 5 Jahresplan sei übererfüllt, obwohl er in Wirklichkeit gescheitert ist, wird befördert. Wer Kolleg*innen aushorcht und anschwärzt wird belohnt.

Fehlende Kommunikation

Und noch eine wichtige Funktion hat die Redaktion: Sie ist eigentlicher Ansprechpartner*in für Projekte. Doch es ist sehr schwierig geworden, mit Redaktionen überhaupt noch ins Gespräch zu kommen. Wenn man anruft, geht keiner dran, oder eine Mitarbeiter*in sagt, der- oder diejenige ist gerade in einer Besprechung. Auf Emails kommen sehr oft keine Rückmeldungen. Wenn aber spontaner und unbürokratischer Austausch nicht möglich ist, dann gehen wichtige Themen verloren.

Ein junger Absolvent einer österreichischen Filmschule, Hubert Sauper, stand im Jahr 2000 plötzlich und unerwartet vor meinem Schreibtisch im WDR und erzählte mir von einer Geschichte von Barschen im Victoriasee. Ich bat ihn – da mich das Thema fesselte – ein Exposee zu schreiben. Wir entwickelten den Stoff gemeinsam, ich brachte das Projekt zu arte und als der Film nach zwei Jahren fertig war, wurde er für die Oscars nominiert.

Ali Samadi, der heute hauptsächlich Spielfilme für Kinder macht, war ein ähnlicher Fall. Auch er kam unangemeldet in mein Büro, auch er ein damals unbeschriebenes Blatt, ein junger Filmhochschulabsolvent. Er pitchte mir einen Stoff, es ging um Kindersoldaten. Heute würde kein Absolvent einer Filmschule unangemeldet in ein Redaktionsbüro gelangen. Es gibt zwar Pitch Foren von Hochschulen und Festivals, wo man sich treffen kann, aber das Ohr einer Redaktion zu finden, ist extrem schwierig geworden. Die Sender schotten sich inzwischen hermetisch nach außen ab und innerhalb der Sender ist die Kommunikationsstruktur so hierarchisch, dass Themen zerredet und zerstört werden. Eine Redakteur*in redet nur mit der Redaktionsleiter*in, es ist aber letztlich die Hauptabteilungsleiter*in, zwei Stufen drüber, die am Ende entscheidet, obwohl sie nur über wenige und gefilterte Informationen verfügt.

Mangelnde Transparenz

Eine Autor*in schlägt ein Projekt vor, er/sie bekommt keine Antwort, tage- wochenlang nicht, man weiß nicht, ob es überhaupt eingegangen ist, gelesen wurde und warum man keine Antwort bekommt. Es ist unklar, wer entscheidet. Die angesprochene Redakteur*in oder die Redaktionssitzung oder darüber geschaltete Koordinator*innen, die man aber als Autor nie zu Gesicht bekommt? Oder aber deren Abteilungsleiter*in oder Hauptabteilungsleiter*in? Wo landen die Argumente, mit denen man sein Projekt unterfüttert? Wie und aus welchen Gründen wird entschieden? Wenn man eine Antwort bekommt, heißt es meistens: hatten wir schon oder haben wir gerade in Arbeit, also sehr standardisierte Absagen, wie »keine Sendeplätze mehr« oder »Budget für dieses Jahr ausgeschöpft«.

Es gibt eine Verabredung, mit der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK), dass Redaktionen innerhalb von vier Wochen antworten müssen, warum Programmvorschläge abgelehnt wurden. Wer die Entscheidung getroffen hat und meist auch die Gründe dafür, bleiben nach wie vor oft undurchsichtig. Man könnte manchmal denken, dass Redakteure*innen Fleißkarten dafür bekommen, wenn sie möglichst viele Absagen pro Tag ausgesprochen haben? Redakteur*innen haben oft den Eindruck, sie finanzieren die Hobbies von Filmemacher*innen, denn sie sitzen selbst bei schönstem Wetter drinnen und die Filmemacher dürfen an der frischen Luft sein. Es herrscht ein unterschwelliger Neid auf die vermeintliche Freiheit der anderen. Redakteure haben vielfach das Gefühl, die Hobbies von anderen Leuten verwirklichen zu müssen.

Hierarchien

Während die Digitalisierung in vielen Industriezweigen dazu geführt hat, dass Hierarchien flacher und horizontaler geworden sind, bewegten sich die ö/r Anstalten in den letzten Jahren in die entgegengesetzte Richtung. Sie wurden hierarchischer. Dafür ein marginales, aber signifikantes Beispiel. Es hat sich eingebürgert, dass auch noch die Leitung der Sendung zusätzlich zum Namen einer Redakteur*in auf dem Abspann steht. Dies ist nicht nur überflüssig, sondern auch unzulässig, denn die Redakteur*in ist presserechtlich verantwortlich. Dies gehört also zu den vielen Degenerationserscheinungen eines Berufsstandes, der zunehmend von wachsenden Hierarchiestrukturen zermalmt wird.

Die Anstalten, vor allem der WDR, sind also hierarchischer, vertikaler geworden. Monika Wulf-Mathies hat in ihrem Gutachten nach dem Bekanntwerden von Missbrauchsfällen von intransparenten Machtsilos gesprochen. Daran hat sich auch nach der Veröffentlichung des Gutachtens im Jahr 2018 laut Auskunft der Personalvertretung wenig geändert. Vielmehr ist seitdem noch ein zentraler Newsroom entstanden. Das heißt in einer Art Zentralkomitee wird von sehr wenigen Leuten entschieden, was würdig ist als Nachricht verbreitet zu werden und was nicht. Eine solche Konstruktion produziert zwangsläufig Fehler. Und selbst das Desaster mit der Ahr-Berichterstattung – der genannte Newsroom hat das Hochwasser in der ersten Nacht ignoriert – hat nicht zu einem Umdenken oder personellen Konsequenzen geführt. Auch der Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine im Februar 2022 wurde im wahrsten Sinne des Wortes: verschlafen. Der Newsroom hat die zuständige Korrespondentin in Moskau nicht aufgeweckt. Das Günstlings-System verhindert das. Wenn die kleine Entscheider-Hierarchie nichts macht, dann traut sich eben auch niemand sonst, etwas anderes zu fordern. Kolleg*innen, die dieses Vorgehen kritisieren, werden ausgesondert, ihrer Aufgaben entledigt, aufs Abstellgleis gestellt, abgestempelt. Das ist unangenehm, die Beispiele sprechen sich herum. Niemand möchte, dass es einem selbst so widerfährt. All diese langwierigen, undurchsichtigen Entscheidungswege, die oft zu Sackgassen werden, sind eine ungeheure Energieverschwendung. Viele Redaktionen machen sich das nicht klar, weil sie selbst selten als freie Autor*innen und Produzent*innen gearbeitet haben. Sie selbst werden regelmäßig jeden Monat bezahlt. Was das für Freie bedeutet, bedenken sie meist nicht.

Ein Beispiel: Der Autor Florian Opitz kam in Nigeria ins Gefängnis. In seinem Film sollte es ums Öl und wer daran verdient gehen. Seine Vertrauensleute, waren am Tag seiner Ankunft plötzlich auch inhaftiert worden, keiner wusste warum. Dem Autor war es noch gelungen, die Redaktion anzurufen. Diese informierte sofort die deutsche Botschaft, die besorgte einen Anwalt in Arusha, der forderte erst mal 15.000 Dollar, bevor er aktiv werden würde. Die Redaktion konzertierte Filmstiftung, Produktionsfirma und den Verwaltungsdirektor im WDR und sie einigten sich in einer schnell zusammen getrommelten Telefonschalte, dass jeder 5000 Euro für den Anwalt bezahlen würde. Es musste alles schnell gehen. Die Redaktion hat später eine Abmahnung vom unmittelbaren Vorgesetzten bekommen, weil nicht der Dienstweg über seinen Schreibtisch eingehalten worden war. Bei einer zweiten Abmahnung wird man gekündigt. Hierarchen, die nicht das notwendige Format haben, schüren dieses Klima der Angst, sie sind unsicher und stellen um sich herum nur Mitarbeiter*innen ein, die noch schwächer sind als sie selbst.

Lichtblicke

Es gibt auch heute noch noch wunderbar engagierte Redakteur*innen. Manche bedanken sich, wenn man zu ihnen als Autor*in mit schönen Projekten kommt. Es soll nicht verschwiegen werden, dass so etwas noch vorkommt. Aber sie sind eine schwindende Spezies. Und es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass es Inseln der Hoffnung gibt, bei Funk, um nur ein Beispiel zu nennen. Traurig ist jedoch, dass solche Veränderungsprozesse nicht aus innerer Überzeugung erfolgten, sondern weil in der Anfangszeit der Streaming Plattformen die Konkurrenz hier anfangs viel freier, schneller und unbürokratischer agieren konnnte.

Fazit

Redaktionen haben viel an Gestaltungsmöglichkeit und Einfluss verloren, auch an Macht und Kompetenz. Wenn ein Programm eine hohe Einschaltquote bekommen hat, verlangt der Nächste in der Hierarchie »more of the same«, also das gleiche Programm noch mal. Innovation und Kreativität werden nicht gefragt, denn das Publikum, so die Annahme, sei ja inzwischen auch nicht mehr daran gewohnt und verlangt offenbar ebenfalls das immer Gleiche. Redakteur*innen sind heute häufig kaum noch in der Lage, über Dramaturgie und Inhalt einer Sendung zu diskutieren, es wird auch nur noch selten darüber gesprochen. Eine Sendung war gut, wenn sie von vielen gesehen wurde, und sie war schlecht, wenn die Quote gering war. Es ist eine Schimäre, zu behaupten, Redaktionen würden heute noch darüber verfügen können, welches Programm realisiert und gesendet wird. Diese Entscheidungen fallen in höheren Gefilden der Sender, uneinsehbar und intransparent. Für die Redaktionen wäre es ein nur noch marginaler Verlust, diese Entscheidung abzugeben, denn sie fällen sie ohehin nicht mehr. Macht, die man verloren hat, zurück zu gewinnen, ist sehr schwer. Insofern könnten sich Redaktionen doch auch damit anfreunden, dass die Entscheidung, welche Filme produziert werden, aus den Sendern ausgelagert werden und in andere demokratisch kontrollierbare Instanzen vergeben werden. Das auf der Webseite der DAfF sowie im jünsgt erschienenen Sammelband „Medienzukunft 2025. Wie kann Vielfalt gelingen?“ diskutierte Konzept eines ö/r Medieninnovationsfonds könnte einen Weg dorthin weisen.

Redakteure würden sich dann auf eine Kompetenz konzentrieren können, die ihnen abhandengekommen ist: Als Partner von Autoren*innen und Filmemachern*innen könnten sie ihre Zeit und Kreativität wieder der dramaturgischen Begleitung und Beratung widmen, dazu beitragen, dass innovative, erfrischende, überraschende sehenswerte Filme entstehen, die die Existenzberechtigung und Notwendigkeit eines öffentlich- rechtlichen Mediensystems unter Beweis stellen.

Prof. Dr. Sabine Rollberg arbeitete über 40 Jahre in ö/r Sendern. Sie begann im SWR, betreute dann im WDR nach einem Volontariat u.a.Weltspiegel, Kulturweltspiegel und Brennpunktsendungen, war ARD-Auslandskorrespondentin in den USA und Frankreich, wurde dann in den Anfangsjahren von ARTE Chefredakteurin in Straßburg und betreute als ARTE-Beauftragte des WDR Dokumentarfilme, die zahlreiche internationale Preise gewannen. Sie unterrichtete 10 Jahre an der Kunsthochschule für Medien in Köln und lehrt seit ihrem Ruhestand an der Freiburger Universität.

[1] https://wdr-dschungelbuch.de/knowledge-base/das-wdr-redakteursstatut/ (aktuell zuletzt am 24.06.2023)

 

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